Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung
diese Weise kann ich dafür sorgen, dass es dir gut geht.«
»Du meinst wohl, du willst lieber gegen jemanden kämpfen, den du auch besiegen kannst.«
»Vielleich auch das.« Er grinste, dann zog er sich die Maske vors Gesicht. »Bereit?«
»Lass mir eine Sekunde Zeit.« Ich nestelte an meiner Maske herum, durch die ich zu meiner großen Überraschung wunderbar sehen konnte.
Und tatsächlich begannen wir nicht sofort mit dem Kämpfen. Den Großteil der ersten Stunde verbrachten wir damit zu lernen, wie man sich richtig hinstellt. Das klingt leicht? Ist es aber nicht. Wir mussten unsere Beine so und so halten, diesen Muskel und nicht jenen anspannen, und die Armhaltung war entsetzlich förmlich und steif. Ich hatte es nicht für möglich gehalten, jeden einzelnen Muskel in meinem Körper anzuspannen nur beim Versuch, ruhig zu stehen; doch noch bevor der Unterricht vorbei war, zitterte ich am ganzen Leib und hatte Schmerzen von den Schultern bis zu den Waden.
»Das wird schon«, sagte Balthazar aufmunternd, als er die Haltung einer meiner Ellenbogen korrigierte. Unser Lehrer, Professor Carlyle, hatte ihn bereits zu einem seiner Assistenten für den Kurs ernannt.
»Du musst das Gleichgewicht halten, das ist das Allerwichtigste.«
»Ich hatte gedacht, das Wichtigste wäre, sich nicht vom Degen erwischen zu lassen.«
»Vertrau mir. Gleichgewicht. Am Ende geht es immer nur darum.«
Es läutete. Ich seufzte vor Erleichterung, stolperte zur nächsten Wand und ließ mich dagegensinken. Dann riss ich mir die Fechtmaske vom Gesicht, um tiefer atmen zu können. Meine Wangen fühlten sich heiß an, und mein Haar war feucht vom Schweiß. »Wenigstens nehme ich dieses Jahr ab.«
»Du musst doch gar nicht abnehmen.« Balthazar zögerte, während er seine Maske unter den Arm klemmte. »Aber weißt du, wenn du außerhalb des Unterrichts ein bisschen zusätzlich trainieren willst, dann könnten wir uns doch zum Beispiel morgen treffen. Dann würdest du ein bisschen Übung bekommen.«
»Dieses Wochenende kann ich nicht.« Wäre ich auch nur etwas weniger erschöpft gewesen, hätte er dann die fiebrige Vorfreude in meinen Augen gesehen? »Kann ich ein anderes Mal darauf zurückkommen?«
»Na klar.« Er grinste mich an, während wir zur Tür gingen. Mit einem Mal fragte ich mich, ob Balthazar dieses Angebot als Gelegenheit angesehen hatte, mir näherzukommen. Wenn das der Fall wäre, würde ich mir etwas überlegen müssen, wie ich aus dieser Nummer wieder rauskäme.
Aber um all diese Angelegenheiten würde ich mich später kümmern. Es war der erste Freitag im Oktober, was bedeutete, dass mich nur noch wenige Stunden von einem Wiedersehen mit Lucas trennten.
Als Erstes hastete ich zurück in den Schlaftrakt, um zu duschen. Auf keinen Fall würde ich Lucas gegenübertreten, solange ich nach alten Socken roch. Aber ich gab mir weder mit meinen Haaren noch mit meinem Make-up viel Mühe, damit Raquel nicht an meinem Vorhaben zu zweifeln beginnen würde. Ich stellte mir vor, wie meine superweibliche ehemalige Zimmerkameradin Patrice entsetzt nach Luft geschnappt hätte, wenn ich meine Haare wie jetzt zu einem schlichten, nachlässigen Knoten zusammengedreht hätte.
Raquel fiel es trotzdem auf. »Warum machst du dich zurecht, wenn du dich im Wald herumtreiben willst?«
»Ist ja nicht so, als hätte ich meinen Nerzmantel und das Diadem ausgepackt.« Ich trug eine Jeans und ein einfaches Sweatshirt.
Sie zuckte mit den Schultern. »Wie auch immer.« Raquel saß mit gekreuzten Beinen auf dem Fußboden, inmitten eines ihrer Kunstprojekte. Die Collage, an der sie gerade arbeitete, sah recht deprimierend aus mit dem vielen Schwarz und der auffälligen Radierung einer Guillotine. Mich interessierte jedoch vor allem, dass sie mir keinerlei Aufmerksamkeit mehr schenkte, während ich mich zu Ende fertig machte. In meiner Idealvorstellung hätte ich Lucas in meinem schönsten Outfit wiedergesehen, aber es gab einfach keine Möglichkeit, wie ich glaubhaft irgendetwas hätte anziehen können, das mir richtig gut stand. Ich griff bis ganz nach hinten in die Schublade mit meiner Unterwäsche, um ein kleines Bündel herauszuziehen, das in einen Schal gewickelt war, und es zusammen mit meiner Thermoskanne in meinen Rucksack zu stecken. Raquel würde keinen Verdacht schöpfen.
»Wir sehen uns morgen Abend wieder, in Ordnung?« Meine Stimme klang seltsam angespannt und unnatürlich, als ob sie gleich versagen würde.
Ich legte eine Hand auf den
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