Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts
drückte mich an seine Brust und rieb mir den Rücken. »Halt einfach durch.«
»Ich kann nicht.« Mein Körper zitterte unkontrollierbar. Es war kein epileptischer Anfall, denn ich wusste noch immer, wer ich war und wo ich mich befand, und ich konnte mich bewegen. Ich konnte nur nicht aufhören zu zittern. Es hatte im Schlaf begonnen und hatte Lucas aufgeweckt, ehe ich selber aus dem Schlaf gefahren war. Er hatte einige Male meinen Namen rufen müssen, ehe ich wirklich richtig zu Bewusstsein gekommen war.
»Bitte, Bianca. Bitte.«
»Ich kann nicht aufhören, ich kann nicht aufhören …«
»Du musst nicht aufhören. Quäl dich nicht. Lass es einfach raus. Ich bin hier bei dir, okay?«
»Okay«, keuchte ich. Aber das Zittern hörte beinahe eine Stunde lang nicht auf, und als es endlich doch nachließ, war ich derart erschöpft, dass ich das Gefühl hatte, mich nie wieder bewegen zu können.
Eines war sicher: Danach waren Lucas und ich so fertig, dass an Schlaf überhaupt nicht mehr zu denken war.
Als wir nicht mehr länger so tun konnten, als sei der Morgen noch nicht angebrochen, bat ich Lucas, mir einen Stift und Papier zu bringen, was er auch tat. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, und seine Haut war aschgrau. Ich wollte so gerne für ihn sorgen, anstatt hilflos herumzuliegen.
Ich bat Lucas, mir einige Kissen in den Rücken zu schieben, damit ich aufrecht sitzen konnte. Dann, trotz meiner zitternden Hand, gelang es mir, eine kurze Nachricht zu schreiben.
Mom und Dad, wenn ihr diesen Brief erhaltet, bedeutet es …
Hier musste ich eine Pause machen. Ich wusste, was ich hätte schreiben sollen, aber ich war nicht stark genug dafür. Die Vorstellung, dass meine Eltern diese Worte lesen würden, war zu viel für mich.
… dass ich nicht mehr zu euch nach Hause kommen kann. Lucas hat mir versprochen, ihn an euch abzuschicken, wenn mir irgendetwas zustoßen sollte.
Mir ist klar, dass ihr glaubtet, das Richtige zu tun, als ihr Mrs. Bethany von meiner letzten E-Mail unterrichtet habt. Ich mache euch keine Vorwürfe, dass ihr versucht habt, mich wiederzufinden, vor allem nun nicht, da ich verstehe, wie viel Angst ihr gehabt haben müsst. Aber das war der Grund, warum ich danach keinen Kontakt mehr zu euch aufnehmen konnte. Es hätte Lucas in Gefahr gebracht, und das konnte ich nicht zulassen.
Bitte seid nicht böse auf Lucas. Er war wunderbar zu mir und hat mir alles gegeben, was er konnte. Ich war so glücklich mit ihm in diesem Sommer. Ich denke, wenn ihr uns beide hättet sehen können und gewusst hättet, wie schön es für mich war, hättet ihr es verstanden. Dies ist das erste Mal, dass ich wirklich begriffen habe, wie es für euch beide ist, euch gegenseitig zu lieben, komme, was wolle. Lucas und ich hatten genau das, auch wenn es nur für einige wenige Monate war. Ich weiß, dass ihr eines Tages dankbar sein werdet, dass ich das ebenfalls kennengelernt habe. Ich liebe euch beide so sehr. Danke für alles, was ihr für mich getan habt. Selbst nach all den Streitereien, die wir hatten, und während der augenblicklichen Trennung habe ich immer gewusst, dass ihr die besten Eltern der Welt seid.
In Liebe,
Bianca
Diesen Tag verbrachte ich wie hinter einem Schleier. Ich glitt in den Schlaf und erwachte wieder – wenigstens manchmal war es Schlaf. Manchmal war es auch eine Ohnmacht, die mich umfing. Ich konnte beides nicht mehr auseinanderhalten.
Auch wenn ich mich fiebrig fühlte, wusste ich, dass mein Körper in Wahrheit ganz kalt geworden war. Ich erkannte das daran, dass Lucas’ Berührung jedes Mal wie Feuer brannte, wenn er meine Stirn abwischte oder meine Hand hielt. Meine schweißnassen Glieder verfingen sich in den Laken, und ich zerrte ruhelos an meinen Haarsträhnen, die mir im Nacken und am Rücken klebten. Lange schien mir nichts mehr wirklich real zu sein.
Stattdessen driftete ich durch Erinnerungen, die alle unzusammenhängend waren. Die meisten waren fröhlich, und so war ich zufrieden damit, dass mein Geist auf Wanderschaft ging. In einem Augenblick lief ich mit Raquel durch die Straßen von New York, und wir lachten darüber, wie unsere Muskeln vom morgendlichen Training schmerzten. Im nächsten Moment war ich wieder in Arrowwood, wo Mom voller Stolz die letzten Verschönerungen an meinem Prinzessinnenkostüm für Halloween vornahm. Dann war ich in Evernight und bekam eine Maniküre von Patrice, sodass unsere Nägel zueinanderpassten und in zartem Lila glänzten. Und später war ich in
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