Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts
»Wirklich, Lucas, das habe ich dir doch schon gesagt.«
»Man kann einem Typen nicht oft genug sagen, dass man nicht schwanger ist.«
»Bin ich nicht, bin ich nicht, bin ich nicht.«
»Danke.« Lucas legte mir den Arm um die Schulter. »Also, was glaubst du, was nicht stimmt? Hast du eine Ahnung?«
»Ich bin mir nicht sicher, aber …« Ich zögerte. Es war schwer in Worte zu fassen. »Ich erinnere mich an etwas, was mir meine Mutter mal gesagt hat. In der Nacht, nachdem ich dich zum ersten Mal gebissen hatte, genau genommen.«
»Was hat sie gesagt?«
Ich sah mich rasch um, um sicher zu sein, dass niemand so nahe war, dass er etwas hätte hören können. Einige Leute liefen ein paar Schritte hinter uns. Sie sahen wild aus in ihren grellen Klamotten und mit dem dicken Make-up im Gesicht, aber sie unterhielten sich untereinander so laut, dass sie von unserem Gespräch nichts mitbekommen dürften. »Sie sagte, dass ich das Stundenglas gedreht hätte, als ich das erste Mal menschliches Blut gekostet hatte. Dass ich nicht für immer bleiben könnte, was ich bin – halb Mensch, halb Vampirin. Sie sagte, dass die Vampirin in mir stärker werden würde und dass ich irgendwann …« In der Öffentlichkeit wollte ich das Wort töten nicht laut aussprechen. »Ich würde die Umwandlung vollkommen machen müssen.«
Lucas antwortete: »Und deine Eltern haben dir nie gesagt, was passieren würde, wenn du das nicht tätest?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe sie das unzählige Male gefragt, aber sie haben immer so getan, als wäre das gar keine Option. Sie haben mir auch nicht gesagt, wie viel Zeit mir noch bleibt. Und jetzt frage ich mich das langsam selbst.«
»Du glaubst, wenn du dich so wie jetzt fühlst, dann versucht dir dein Körper zu sagen, dass du jemanden töten sollst?«
»Pssssst.« Eine andere Gruppe, deren Mitglieder vielleicht etwas älter, aber nicht weniger schrill gekleidet waren, näherte sich uns aus einer Seitenstraße. Bald würden sich unsere Wege kreuzen. »Musst du denn so laut schreien?«
Lucas’ Schritte wurden langsamer. »Wie fühlst du dich jetzt gerade?«
»In dieser Sekunde? Mir geht’s gut, schätze ich, aber …«
»Gut. Mach dich aufs Rennen gefasst.«
»Wovon sprichst du?« Doch dann sah ich, was Lucas gesehen hatte: Eine dritte Gruppe von Leuten, alle in ähnlich wildem Aufzug, kam uns von der anderen Straßenseite aus entgegen. Dies war kein Zufall.
Wir waren umzingelt.
Dann erkannte ich einen Mann in der dritten Gruppe, nämlich einen Typen mit einem Adlergesicht, einer Haut, die so blass war wie meine, und langen, rötlich-braunen Dreadlocks: Shepherd.
»Dieser Kerl da geht für Charity auf die Jagd«, sagte ich.
Lucas griff nach meiner Hand und drückte sie. »Los. Zur Bushaltestelle.«
Wir rannten los. Doch schon nach zwei Schritten hörten die Vampire um uns herum auf, so zu tun, als würden sie unbeteiligt herumhängen. Sie schwirrten los wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm und waren uns sofort auf den Fersen. Und sie alberten nicht mehr herum.
Lucas wurde schneller und machte sich seine übernatürliche Geschwindigkeit zunutze, um uns vorwärtszuziehen. Ich umklammerte seine Hand, so fest ich konnte, und verfluchte mal wieder meine dummen Sandalen, aber ich kam nicht so schnell voran wie Lucas. Früher war ich immer schneller als er gewesen. Diese Zeiten waren vorbei.
Die dröhnenden Schritte hinter uns kamen näher und immer näher. Ich konnte die Gürtel und Armketten klirren hören. Lucas versuchte, mich hinter sich herzuziehen. Inzwischen wussten wir beide, dass wir es nicht rechtzeitig zur Bushaltestelle schaffen würden, nicht, wenn ich so langsam rannte. Also riss ich mich von Lucas los und schlug einen Haken nach rechts. »Bianca!«, brüllte Lucas, aber ich drehte mich nicht mehr um.
Ich hatte geglaubt, dass sich die Vampire aufteilen und zur Hälfte hinter Lucas, zur Hälfte hinter mir herjagen würden. Lucas würde seinen Verfolgern entkommen können, und was mich betrifft … nun, ich hätte vielleicht eine Chance, wenn ich nur mit der Hälfte der Vampire kämpfen müsste. Stattdessen jedoch verfolgten den Geräuschen nach alle mich.
Lucas, bitte verschwinde, bitte verschwinde von hier! Ich wagte es nicht, einen Blick zurückzuwerfen, um zu sehen, was er tat. Sie waren zu nahe, so nahe, und sie kamen noch weiter an mich heran …
Eine Hand packte mich am Arm und riss mich herum. Ich stolperte und wäre beinahe hingefallen, doch Shepherd fing
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