Evernight Bd.1 Evernight
Kontrast zu ihrer blassen Haut und prall durchblutet. Am schönsten aber war die Tatsache, dass der schimmernde Hintergrund des Bildes so wirkte, als würde er mit dem Mann und der Frau verschmelzen. Es hatte den Anschein, als wäre er ein dichter, warmer Nebel, den ihre Liebe erst sichtbar machte und der die Welt um sie herum golden erscheinen ließ.
Die Haare des Mannes waren dunkler als die von Lucas. Aber ich versuchte trotzdem, ihn mir vorzustellen. Meine Wangen waren warm und gerötet, aber dieses Mal war es eine andere Art von Hitze.
Ich zwang mich mit einem Ruck, wieder ins Hier und Jetzt zurückzukehren: Beinahe war es, als ob ich eingeschlafen wäre und zu träumen begonnen hätte. Rasch strich ich mein Haar glatt und holte einige Male tief Luft. Im Hintergrund lief in der Stereoanlage Glenn Millers »String of Pearls«, wie mir nun auffiel. Big-Band-Musik bedeutete immer, dass Dad gute Laune hatte.
Unwillkürlich musste ich lächeln. Wenigstens einer von uns mochte die Evernight-Akademie.
Als ich schließlich fertig zusammengepackt hatte, war es beinahe Zeit fürs Abendbrot. Ich ging ins Wohnzimmer, wo die Musik noch immer spielte, und stieß dort auf Mum und Dad, die zusammen tanzten und dabei allerhand Quatsch machten. Dad spitzte, gespielt sexy, die Lippen, und Mum hielt den Saum ihres schwarzen Rockes in einer Hand.
Mum wirbelte in Dads Armen herum, und er beugte sie nach hinten. Sie ließ den Kopf beinahe bis auf den Fußboden sinken, lächelte und entdeckte mich in diesem Moment. »Süße, da bist du ja.« Sie hing noch immer kopfüber, während sie sprach, aber dann half ihr Dad, sich wieder aufzurichten. »Bist du fertig mit Packen?«
»Hm. Danke, dass ihr schon mal angefangen habt, das hat es leichter gemacht. Und danke auch für das Bild, das ist wunderschön.« Sie lächelten einander an, erleichtert darüber, mir wenigstens eine kleine Freude gemacht zu haben.
»Das wird ein richtiges Festessen heute.« Dad nickte zum Tisch. »Deine Mutter hat sich selbst übertroffen.« Normalerweise kochte meine Mutter keine großen Mahlzeiten, sodass dieser Abend wirklich eine besondere Sache war. Sie hatte all meine Lieblingsspeisen zubereitet, und zwar in viel größeren Mengen, als ich je würde essen können. Erst jetzt stellte ich fest, dass ich am Verhungern war, weil ich nichts zu Mittag gegessen hatte. Während des ersten Teils des Abendessens mussten sich Mum und Dad allein unterhalten. Mein Appetit sorgte dafür, dass mein Mund ständig viel zu voll zum Sprechen war.
»Mrs. Bethany sagte, sie hätten mittlerweile alle Laborräume neu ausgestattet«, berichtete Dad zwischen zwei Schlucken aus seinem Glas. »Ich hoffe, ich kann mir die Geräte erst mal ohne Schüler anschauen. Vielleicht sind manche davon so modern, dass ich gar nicht weiß, wie ich sie bedienen soll.«
»Das ist der Grund, warum ich Geschichte unterrichte«, antwortete Mum. »Die Vergangenheit verändert sich nicht mehr. Der Zeitraum wird nur immer größer.«
»Habe ich einen von euch beiden als Lehrer?«, fragte ich mit vollem Mund.
»Schluck erst mal den Bissen runter.« Dads Tadel schien ganz automatisch zu kommen. »Du musst bis morgen warten wie die anderen auch.«
»Oh. Okay.« Es sah ihm gar nicht ähnlich, mich so abzuwürgen, und ich war beleidigt.
»Wir wollen gar nicht erst damit anfangen, dir zu viele Extrainformationen zu geben«, sagte Mum einfühlsamer. »Du musst so viel wie möglich mit den anderen Schülern gemeinsam haben, findest du nicht?«
Sie sagte es leichthin, aber es traf mich wie ein Schlag. »Wer ist denn schon hier, mit dem ich irgendetwas gemeinsam haben sollte? Die Evernight-Kinder, deren Familien schon seit Jahrhunderten herkommen? Die Außenseiter, die noch weniger hierherpassen als ich? Zu welcher Gruppe soll ich denn wohl passen?«
Dad seufzte. »Bianca, sei doch vernünftig. Es macht keinen Sinn, schon wieder darüber zu streiten.«
Es war höchste Zeit, das Thema zu wechseln, aber ich konnte nicht. »Ja, ja, ich weiß. Wir sind nur ›zu meinem Besten‹ hier. Wie kann es denn gut für mich sein, unser Zuhause und all meine Freunde zurückzulassen? Das solltet ihr mir mal erklären, ich habe das nämlich bislang noch nicht richtig begriffen.«
Mum griff nach meiner Hand. »Es ist gut für dich, weil du bisher kaum aus Arrowwood herausgekommen bist. Weil du selten genug mal die unmittelbare Nachbarschaft verlassen hast, außer, wir haben dich dazu gezwungen. Und weil die Hand
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