Evernight Bd.1 Evernight
gehen lassen. Letztlich weiß ich ja, dass es keinen Sinn hat, darüber zu streiten, dass wir hergekommen sind. Jedenfalls jetzt nicht mehr.«
Dad lächelte mich liebevoll an. »Bianca, wie du weißt, haben deine Mutter und ich nie zu hoffen gewagt, dass wir dich bekommen würden.«
»Ich weiß.« Bitte, dachte ich, nicht schon wieder die Geschichte vom Wunderbaby .
»Als du in unser Leben getreten bist, haben wir uns ganz auf dich konzentriert. Vielleicht war das zu viel. Aber das ist unser Fehler, nicht deiner.«
»Dad, nicht.« Ich liebte es, wenn unsere Familie beisammen war, und wenn es nur uns drei auf der Welt gab. »Sprich nicht so, als ob es etwas Schlechtes wäre.«
»Mach ich nicht.« Er schien traurig, und zum ersten Mal fragte ich mich, ob es ihm hier vielleicht auch nicht gefiel. »Aber alles ändert sich irgendwann, Süße. Je eher du das akzeptieren lernst, desto besser.«
»Ich weiß. Tut mir leid, dass ich mir das alles immer noch so zu Herzen nehme.« Mein Magen knurrte, und ich zog die Nase kraus und fragte hoffnungsvoll: »Kann ich mir mein Essen noch mal aufwärmen?«
»Ich habe so eine Ahnung, dass deine Mutter sich bereits darum gekümmert hat.«
Hatte sie tatsächlich. Der Rest des Abends verlief beinahe unbeschwert. Ich dachte mir, ich könnte mir auch einfach eine schöne Zeit machen, solange es noch ging. Tommy Dorsey ersetzte Glenn Miller und wurde dann seinerseits von Ella Fitzgerald abgelöst. Wir unterhielten uns und machten Witze über alles Mögliche, vor allem Kinofilme und Fernsehen, also über alles, was meine Eltern überhaupt nicht interessieren würde, wenn es mich nicht gäbe. Ein- oder zweimal versuchten Mum und Dad, einen Scherz über die Schule zu machen.
»Du wirst ganz unglaubliche Leute kennenlernen«, versprach Mum.
Ich schüttelte den Kopf und dachte an Courtney. Sie gehörte bereits jetzt definitiv zu den am wenigsten unglaublichen Leuten, die ich je getroffen hatte.
»Das kannst du nicht wissen.«
»Kann ich doch, und tue ich auch.«
»Was denn, kannst du neuerdings in die Zukunft blicken?«, zog ich sie auf.
»Liebling, davon hast du mir ja noch gar nichts erzählt. Was sieht denn die Wahrsagerin sonst noch so?« Dad stand auf, um eine neue Platte aufzulegen. Dieser Mann hielt immer noch am guten alten Vinyl fest.
»Das möchte ich jetzt aber wissen.«
Mum machte das Spiel mit und legte die Fingerspitzen an die Schläfen wie eine Zigeunerin, die angestrengt in ihre Kugel schaut. »Ich glaube, Bianca wird - mit Jungs ausgehen.«
Lucas’ Gesicht blitzte vor meinem geistigen Auge auf, und sofort beschleunigte sich mein Pulsschlag. Meine Eltern tauschten Blicke. Konnten sie mein Herz etwa durch den ganzen Raum pochen hören? Vielleicht.
Ich versuchte, einen Witz zu machen: »Ich hoffe, das werden süße Typen sein.«
»Aber nicht zu süß«, warf mein Vater ein, und wir alle lachten.
Mum und Dad hielten das für wirklich lustig, obwohl ich nur darum bemüht war, die Tatsache zu überspielen, dass ich Schmetterlinge im Bauch hatte.
Es war komisch, ihnen nichts von Lucas zu erzählen. Ich hatte ihnen immer das meiste aus meinem Leben anvertraut. Aber mit Lucas war das etwas anderes. Über ihn zu sprechen wäre so, als würde ich den Zauber brechen. Zumindest noch für eine Weile sollte er mein Geheimnis bleiben. Auf diese Weise könnte ich ihn für mich behalten.
Schon jetzt wollte ich ihn nur für mich allein haben.
3
»Du hast deine Uniform nicht maßanpassen lassen, oder?« Patrice strich ihren Rock glatt, als wir uns für unseren ersten Unterrichtstag fertig machten.
Warum war mir das nicht schon vorher aufgefallen? Natürlich hatten all die echten Evernight-Typen ihre Uniformen zu einer Schneiderin geschickt, die die Blusen hier ein Stückchen enger und die Röcke eine Idee kürzer machten, sodass sie schick und vorteilhaft statt sackartig und geschlechtsneutral aussahen. So wie meine halt. »Nein. Ich habe nicht daran gedacht.«
»Das musst du unbedingt noch machen«, erklärte Patrice. »Anpassen nach den eigenen Maßen macht einen himmelweiten Unterschied. Keine Frau sollte sich das entgehen lassen.« Mir war bereits klar, dass es ihr gefiel, kluge Ratschläge zu geben, um damit anzugeben, wie weltgewandt und schlau sie war. Allerdings hätte mir das mehr ausgemacht, wenn sie nicht so offensichtlich recht gehabt hätte. Ich seufzte und machte mich wieder an die Arbeit, denn ich versuchte gerade, meine Haare dazu zu
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