Evernight Bd.1 Evernight
sein.
Wie gut, dass mich das gar nicht unter Druck setzte.
»Deine Mutter ist fantastisch«, schwärmte Patrice, als wir nach der Stunde über den Flur gingen. »Sie hat das Gesamtbild im Blick, weißt du? Nicht nur einen kleinen Ausschnitt der Welt wie die meisten anderen Leute.«
»Stimmt. Ich meine… ich versuche, so wie sie zu sein. Eines Tages.«
Genau in diesem Augenblick bog Courtney um die Ecke. Ihre blonden Haare hatte sie so straff zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, dass ihre Augenbrauen noch verächtlicher in die Höhe gezogen wurden. Patrice wurde steif; offensichtlich akzeptierte sie mich nicht so weit, dass es gereicht hätte, auch Courtney gegenüber zu mir zu stehen. Ich rechnete mit weiteren fiesen Bemerkungen und wappnete mich. Stattdessen schenkte Courtney mir jedoch eine Art Lächeln, und ich konnte ihr ansehen, dass sie fand, sie sei netter zu mir, als ich es eigentlich verdiente. »Dieses Wochenende Party«, sagte sie. »Samstag. Am See. Eine Stunde nach Anbruch der Ausgangssperre.«
»Geht klar.« Patrice zuckte nur eine Schulter, als sei es ihr völlig egal, zu der vermutlich coolsten Party in Evernight, wenigstens bis zum Herbstball, eingeladen zu werden. Oder waren förmliche Bälle nicht angesagt? Bei Mum und Dad hatte es so geklungen, als wäre es das größte Ereignis des Jahres, aber ihre Vorstellungen von Evernight waren mir bereits suspekt.
Mein Nachsinnen über Bälle und die Frage, wie cool oder uncool sie waren, hatten mich davon abgebracht, Courtney selbst eine Antwort zu geben. Sie starrte mich an, offenkundig verärgert, dass ich sie nicht mit Dank überschüttete.
»Und?«
Hätte ich mehr Mumm in den Knochen gehabt, hätte ich ihr gesagt, dass ich sie für eingebildet und langweilig hielt und Besseres zu tun hatte, als zu ihrer Party zu kommen. Stattdessen aber brachte ich mühsam hervor: »Hm, toll. Das wird bestimmt super.«
Patrice stieß mir in die Rippen, als Courtney mit wippendem Pferdeschwanz davonstolzierte. »Siehst du? Habe ich dir doch gesagt. Die Leute werden dich schon akzeptieren, na ja, weil du doch ihre Tochter bist.«
Was für eine Versagerin musste man sein, seine Beliebtheit in der Schule den Eltern zu verdanken? Trotzdem konnte ich es mir nicht leisten, wählerisch zu sein, wenn man mich irgendwo zu akzeptieren schien, egal aus welchem Grund.
»Was wird das denn für eine Party? Ich meine, auf dem Schulgelände? In der Nacht?«
»Du warst doch schon mal auf einer Party, oder?« Manchmal klang Patrice auch nicht netter als Courtney.
»Na klar.« Ich zählte meine eigenen Geburtstagspartys als Kind dazu, aber das musste Patrice ja nicht wissen. »Ich frage mich nur, ob… ob es da auch Alkohol geben wird.«
Patrice lachte, als ob ich etwas Komisches gesagt hätte. »O Bianca, werde erwachsen.«
Sie machte sich auf den Weg in die Bibliothek, und ich hatte den Eindruck, dass sie keinen Wert auf meine Begleitung legte. Also kehrte ich allein in unser Zimmer zurück.
Irgendwie sind meine Eltern cool , dachte ich. Warum kann das in der nächsten Generation nicht genauso sein?
Meine Eltern hatten gesagt, ich würde mich bestimmt bald eingewöhnen und mich dann auch wohler in Evernight fühlen. Nun, nach der ersten Woche wusste ich, dass sie nur mit dem ersten Teil recht hatten.
Der Unterricht war meistens ganz in Ordnung. Mum machte ein einziges Mal eine Anspielung darauf, dass ich ihre Tochter war, dann schloss sie mit den Worten: »Weder Bianca noch ich werden diese Tatsache noch einmal erwähnen. Und Sie sollten das ebenfalls nicht tun.« Alle lachten; sie fraßen ihr mittlerweile wirklich aus der Hand. Wie schaffte sie das bloß? Und warum hatte sie mir nicht auch beigebracht, wie man das machte?
Einige andere der Lehrer waren etwas gewöhnungsbedürftiger, und ich vermisste die Zwanglosigkeit und freundliche Atmosphäre meiner alten Schule. Hier waren die Professoren beeindruckend und voller Kraft, und es war unvorstellbar, ihren hohen Erwartungen nicht gerecht zu werden. Da ich mein ganzes Leben damit zugebracht hatte, mich in Bibliotheken zu verkriechen, war ich auf diese Art Arbeit vorbereitet, und ich verbrachte mehr Zeit als je zuvor mit Lernen. Das einzige Fach, das mir wirklich Sorgen bereitete, war Englisch, denn das war das Fach, in dem wir von Mrs. Bethany unterrichtet wurden. Irgendetwas an ihr, vielleicht ihre Haltung oder die Art, wie sie den Kopf schieflegte, ehe jemand aus der Klasse eine ihrer Fragen
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