Evernight Bd.1 Evernight
dazu hatte er überhaupt kein Recht. »Warte mal! Warst du deshalb so kühl zu mir? Hast du darum so getan, als wenn wir uns nicht kennen?«
»Wenn so ein süßes Mädchen wie du dieser Meute in die Fänge gerät, dann wollte ich nicht auch noch zusehen müssen. Nicht, wenn ich nichts dagegen tun kann.« Ich war überrascht, wie viel Gefühl in seiner Stimme lag. Wir standen noch immer einige Schritte voneinander entfernt, aber ich hatte das Gefühl, noch nie jemandem so nah gewesen zu sein. »Als ich sah, wie du von der Party weggelaufen bist, wurde mir klar, dass bei dir noch nicht alles verloren ist.«
»Vertrau mir, ich bin nicht Teil dieser Gruppe«, sagte ich. »Ich glaube, sie haben mich nur dabeihaben wollen, um sich über mich lustig zu machen. Und ich bin nur hingegangen - na ja, weil ich hier schließlich irgendjemanden kennen muss. Du warst der einzige Freund, den ich hier hatte, und ich dachte doch, ich hätte dich verloren.«
Lucas legte die Hände um eine der verschnörkelten Verzierungen des Geländers; ich tat das Gleiche, sodass wir Seite an Seite standen. Nun waren wir beide mit den Windungen verschlungen wie Efeuranken. »Ich habe deine Gefühle verletzt, nicht wahr?«
Leise stimmte ich ihm zu: »Ja, irgendwie schon. Ich meine… Ich weiß, dass wir uns nur einmal unterhalten haben …«
»Aber es hat dir etwas bedeutet.« Einen Moment lang trafen sich unsere Blicke. »Mir hat es auch etwas bedeutet. Ich habe nur nicht gemerkt… Also, ich dachte, es wäre nur mir so gegangen.«
Lucas hatte nicht gespürt, dass ich ihn ebenfalls mochte? Ich würde die Männer nie verstehen. »Am ersten Schultag bin ich dir nachgegangen, um mich mit dir zu unterhalten.«
»Ja, und kurz vorher bist du neben Patrice Deveraux gelaufen und hast mit ihr geredet, und sie ist hier so angesagt, wie man nur sein kann. Seien wir doch mal ehrlich: Ihre Art und meine passen nicht gut zusammen.« Einen Moment lang sah sein Gesicht unwirsch aus. »Du hast mir gesagt, du würdest nur ganz selten mit Fremden sprechen, deshalb bin ich davon ausgegangen, dass ihr vertraut miteinander seid.«
»Ich teile mir ein Zimmer mit ihr. Ich muss irgendwie eine Ebene mit ihr finden, wenn ich den Tag durchstehen will.«
»Okay, ich habe es einfach falsch aufgefasst. Tut mir leid.«
Ich konnte spüren, dass an der Sache mehr dran war. Aber es schien Lucas ernstlich leidzutun, dass er voreilige Schlüsse gezogen hatte, und das reichte mir. Mein Beschützer hatte immer ein Auge auf mich gehabt, selbst wenn ich es gar nicht bemerkt hatte. Als mir das klar wurde, überfiel mich ein wohliges Gefühl, als hätte er mir einen wärmenden Mantel um die Schultern gelegt, um es mir angenehmer zu machen und mich trocken zu halten.
Die Stille zwischen uns dehnte sich aus, aber sie war nicht unbehaglich. Es gab Menschen, mit denen man auch schweigen konnte und bei denen man nicht das Gefühl hatte, die Lücken im Gespräch mit bedeutungslosem Geplapper füllen zu müssen. Nur mit einigen wenigen Leuten in meiner Heimatstadt war ich so eng befreundet gewesen, und ich hatte immer geglaubt, es würde Jahre dauern, bis ein solcher Zustand erreicht wäre. Zwischen Lucas und mir gab es ihn bereits.
Ich erinnerte mich daran, wie mutig Courtney gewesen war, und entschied mich, dass ich wenigstens halb so forsch auftreten konnte. Auch wenn ich nie gut darin gewesen war, Gespräche in Gang zu halten, versuchte ich es. »Kommst du mit deinem Zimmergenossen denn nicht klar?«
»Mit Vic?« Lucas lächelte schwach. »Für einen Zimmerkameraden ist er ganz in Ordnung. Die meiste Zeit über ist er völlig unauffällig. Irgendwie ein Trottel. Aber als Typ ganz okay.«
Bei der Bezeichnung »Trottel« glaubte ich zu wissen, von wem er sprach. »Vic ist der Kerl, der manchmal Hawaiihemden unter seinem Blazer trägt, stimmt’s?«
»Genau der.«
»Ich habe noch nicht mit ihm geredet, aber er wirkt ganz lustig.«
»Ist er auch. Vielleicht können wir ja irgendwann mal was zusammen unternehmen.«
Mein Herz hämmerte, als ich mich vorwagte. »Das wäre schön, aber… Ich würde lieber die Zeit mit dir allein verbringen.« Unsere Blicke trafen sich, und ich hatte das Gefühl, eine unsichtbare Linie überschritten zu haben. War das gut oder schlecht?
»Wir könnten… aber…« Warum zögerte Lucas? »Bianca, ich hoffe wie du, dass wir Freunde sind. Ich mag dich. Aber es ist keine schlaue Idee, wenn du viel Zeit mit mir verbringst. Wie du gesehen hast, bin ich
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