Evernight Bd.1 Evernight
nicht gerade der angesagteste Typ auf dem Campus. Ich bin nicht hier, um Freunde zu finden.«
»Dann willst du dir lieber Feinde machen? So wie du dich mit Erich angelegt hast, könnte man fast den Eindruck gewinnen.«
»Wäre es dir lieber, wenn ich nett zu Erich wäre?«
Erich war ein Vollidiot, und das wussten wir beide. »Nein, natürlich nicht. Na ja, du gehst nur ganz schön … auf Konfrontationskurs. Ich meine, musst du denn all die Typen so sehr hassen? Ich mag sie auch nicht, aber du … Es ist so, als ob du schon ihren Anblick nicht ertragen könntest.«
»Ich vertraue auf meine Instinkte.«
Dagegen konnte ich nichts einwenden. »Aber das sind Leute, mit denen man es sich nicht verscherzen möchte, wenn es sich vermeiden lässt.«
»Bianca, wenn du und ich… Wenn wir…«
Wenn wir was? Mir fielen viele Antworten auf diese Frage ein, und die meisten gefielen mir. Wieder trafen sich unsere Blicke und verschmolzen miteinander, sodass es unmöglich war, sie wieder abzuwenden. Die Intensität, die in Lucas’ Augen lag, war beinahe überwältigend, selbst wenn sie nicht mir galt, aber wenn sie das tat, wie in diesem Moment, wo er mein Gesicht so eindringlich musterte, alle seine Worte abwog, bevor er sie laut aussprach, dann raubte es mir fast den Atem.
Endlich beendete Lucas den Satz: »Ich könnte es nicht ertragen, wenn sie es an dir ausließen. Und das würden sie irgendwann.«
Er wollte mich also beschützen? Ich würde es zu schätzen wissen, wenn es nicht so verrückt wäre. »Weißt du, ich glaube, meine gesellschaftliche Lage ist nicht so, dass du sie in irgendeiner Weise beschädigen könntest.«
»Sei dir da mal nicht so sicher.«
»Sei du mal nicht so hartnäckig.«
Eine Weile sprach keiner von uns. Das Mondlicht fiel durch die Efeublätter, und Lucas war nah genug, dass ich seinen Geruch wiedererkannte. Er erinnerte mich an Zedern und Pinien und roch wie der Wald um uns herum, als ob er irgendwie ein Teil dieses dunklen Ortes wäre.
»Ich hab’s vermasselt, oder?« Lucas klang beinahe so niedergeschlagen, wie ich mich fühlte. »Ich bin so was nicht gewöhnt.«
Ich hob die Augenbrauen. »Dich mit Mädchen zu unterhalten?« So wie Lucas aussah, wagte ich das zu bezweifeln.
Als er nickte, war jedoch offensichtlich, dass er es ernst meinte. Das diabolische Glitzern war aus seinen Augen verschwunden. »Ich bin viele Jahre lang herumgereist und von Ort zu Ort gezogen. Alle, an denen mir etwas lag - es schien mir, als ob sie viel zu schnell wieder fort waren. Ich schätze, ich habe gelernt, die Leute nicht an mich heranzulassen.«
»Du gibst mir das Gefühl, dass ich dumm bin, weil ich dir vertraue.«
»So etwas darfst du nicht denken. Das ist mein Problem. Ich würde es furchtbar finden, wenn du es zu deinem machen würdest.«
Ich hatte mein ganzes Leben in einer kleinen Stadt verbracht, und ich hatte immer geglaubt, dass ich mich deshalb so schwer damit tat, Fremde kennenzulernen. Aber nach dem, was Lucas gerade gesagt hatte, konnte ich nachvollziehen, dass ein Leben auf ständiger Wanderschaft den gleichen Effekt haben konnte: dass man isoliert war und seine Gedanken in sich hineinfraß, weshalb es die schwierigste Sache der Welt schien, sich auf andere einzulassen.
Vielleicht also war sein Zorn nichts anderes als meine Schüchternheit. Es war das sichtbare Zeichen dafür, dass wir beide einsam waren. Aber möglicherweise würden wir nicht mehr lange allein sein.
Leise sagte ich: »Bist du es denn nicht leid, wegzurennen und dich zu verstecken? Ich bin es jedenfalls.«
»Ich laufe nicht davon, und ich verstecke mich auch nicht«, entgegnete Lucas. Dann schwieg er kurz und dachte nach. »Nun ja, verdammt noch mal.«
»Ich kann mich ja auch irren.«
»Nein.« Lucas ließ den Blick unbeirrt auf mir ruhen, und gerade, als ich das Gefühl hatte, dass ich zu offen gewesen war, fuhr er fort: »Ich sollte das nicht tun.«
»Das?« Mein Herz schlug ein wenig schneller.
Lucas schüttelte den Kopf und grinste. Der dämonische Blick war zurück. »Wenn es später kompliziert wird, sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
»Vielleicht bin ich ja diejenige, die kompliziert ist.«
Sein Lächeln wurde noch breiter. »Ich sehe schon, es wird eine Weile dauern, bis wir uns daran gewöhnt haben.« Ich liebte es, wenn er mich auf diese Weise anlächelte, und ich hoffte, dass wir noch stundenlang so beisammenbleiben würden. Aber in ebendiesem Moment legte Lucas den Kopf schräg. »Hast du
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