Evernight Bd.1 Evernight
dass die Morgendämmerung gerade erst angebrochen war. Stöhnend setzte ich mich auf und fand mich damit ab, dass ich wach war. Ich hätte natürlich die Steppdecke holen und versuchen können, noch einige Stunden Schlaf zu bekommen, aber ich musste ein bisschen Arbeit in meinen Englischaufsatz über Dracula stecken, wenn ich mir nicht wieder den Zorn von Mrs. Bethany zuziehen wollte. Also warf ich mir meinen Bademantel über und huschte auf Zehenspitzen an Patrice vorbei, die so tief und fest schlief, als ob die Kälte die dünne Decke, unter der sie lag, nicht durchdringen könnte.
Die Badezimmer in Evernight waren in früherer Zeit erbaut worden, in der die Schüler vermutlich so dankbar darüber waren, Innentoiletten zu haben, dass sie nicht empfindlich waren, was Dinge wie die Abflussrohre anging. Es gab zu wenig Kabinen, keine Annehmlichkeiten wie elektrische Lüftungen oder auch nur Spiegel und getrennte Hähne für Kalt- und Warmwasser in den winzigen Becken, die ich von Anfang an gehasst hatte. Immerhin hatte ich inzwischen gelernt, eiskaltes Wasser in meine hohle Hand zu schöpfen, ehe ich das kochend heiße Wasser dazulaufen ließ. Auf diese Weise konnte ich mir das Gesicht waschen, ohne mir die Finger zu verbrühen. Die Fußbodenfliesen waren so kalt an meinen nackten Füßen, dass ich mir fest vornahm, bis zum Frühling Socken im Bett zu tragen.
Kaum hatte ich die Hähne wieder zugedreht, hörte ich etwas - ein Weinen, zaghaft und leise. Ich trocknete mein Gesicht mit dem Handtuch ab und ging in die Richtung, aus der das Geräusch kam. »Hallo? Ist da jemand?«
Das Schniefen brach ab. Gerade, als ich mich wie ein Eindringling zu fühlen begann, streckte Raquel ihr Gesicht aus einer der Kabinen. Sie trug einen Pyjama und ihr geflochtenes, dunkles Lederarmband, das sie immer umzuhaben schien. Ihre Augen waren gerötet. »Bianca?«, flüsterte sie.
»Ja. Ist alles in Ordnung mit dir?«
Sie schüttelte den Kopf und wischte sich über die Wangen. »Ich drehe durch. Ich kann nicht schlafen.«
»Ist plötzlich ganz schön kalt geworden, oder?« Schon als ich das sagte, kam ich mir blöd vor. Ich wusste so gut wie Raquel, dass sie nicht im Morgengrauen auf dem Schulklo heulte, weil das Wetter so frostig war.
»Ich muss dir was erzählen.« Raquels Hand schloss sich um mein Handgelenk, und ihr Griff war fester, als ich erwartet hatte. Ihr Gesicht war bleich, die Nase rot vom Weinen. »Du musst mir sagen, ob du glaubst, dass ich verrückt werde.«
Das war eine seltsame Frage, egal wer sie wann und wo stellte. Vorsichtig erwiderte ich: »Glaubst du denn wirklich, dass du verrückt wirst?«
»Vielleicht.« Raquel lachte unsicher, und das beruhigte mich ein wenig. Wenn sie die lustige Seite daran sehen konnte, dann war wahrscheinlich grundsätzlich alles in Ordnung bei ihr.
Ich warf einen Blick hinter uns, aber das Badezimmer war leer. Um diese Zeit konnten wir sicher sein, diesen Ort eine Weile für uns zu haben. »Hast du schlechte Träume oder so?«
»Vampire. Schwarze Umhänge, Reißzähne, das Werk, das sie anrichten.« Sie versuchte zu lachen. »Man sollte nicht glauben, dass jemand, der nicht mehr in den Kindergarten geht, noch immer Angst vor Vampiren hat, aber in meinen Träumen… Bianca, sie sind schrecklich.«
»In der Nacht, bevor der Unterricht losging, hatte ich einen Albtraum von einer sterbenden Blume«, sagte ich. Ich wollte sie von ihren eigenen Albträumen ablenken; vielleicht würde es ihr helfen, wenn sie meine kannte, selbst wenn ich mir seltsam vorkam, sobald ich sie laut aussprach. »Eine Orchidee oder Lilie oder so, die inmitten eines Sturms verwelkte. Das hat mir solche Angst gemacht, dass ich es den ganzen nächsten Tag nicht aus dem Kopf bekommen habe.«
»Ich kann sie auch nicht vergessen. Diese toten Hände, die nach mir greifen…«
»Du denkst nur deswegen daran, weil wir Dracula im Unterricht durchnehmen«, entgegnete ich. »Bald sind wir mit Bram Stoker durch, dann wird es besser, wirst schon sehen.«
»Das weiß ich, ich bin doch nicht blöd. Aber dann werden sich die Albträume einfach in was anderes verwandeln. Ich fühle mich niemals sicher. Es ist, als ob es da diese Person gäbe, als wenn da irgendjemand wäre - irgendetwas, das mir zu nahe kommt. Etwas Entsetzliches.« Raquel beugte sich näher und flüsterte: »Hast du nie das Gefühl, dass es da etwas an dieser Schule gibt, das… böse ist?«
»Manchmal schon. Ich denke dann, dass es Courtney ist.« Ich
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