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Evernight Bd.1 Evernight

Evernight Bd.1 Evernight

Titel: Evernight Bd.1 Evernight Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
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war eine tagtägliche Tortur für mich; ich konnte Lucas beinahe in meiner Nähe spüren, so wie man ein Feuer in einem kalten Raum fühlen kann. Trotzdem wechselte ich kein Wort mit ihm, und auch er sprach mich nicht an, sondern respektierte das Schweigen, das ich eingefordert hatte und aufrechterhielt, was für mich schmerzhafter als für ihn sein musste. Die Logik sagte mir, dass ich besser daran tat, ihm aus dem Weg zu gehen, aber Logik bedeutete mir in diesem Fall nichts. Ich vermisste Lucas die ganze Zeit über, und es kam mir so vor, als würde ich mich nur umso mehr nach ihm sehnen, je häufiger ich mir vornahm, einen Bogen um ihn zu machen.
    Ob es ihm genauso ging? Ich war mir da nicht so sicher. Alles, was ich mit Bestimmtheit wusste, war, dass er mit meinen Eltern falschlag.
    »Wie fühlst du dich, Bianca?«, fragte Mum vorsichtig, als wir nach unserem sonntäglichen Abendessen gemeinsam das Geschirr wegräumten.
    Ich hatte nicht gut geschlafen, dafür aber zu viel gegessen und wollte eigentlich nichts lieber, als mir für mindestens die nächsten zwei Jahre die Decke über den Kopf ziehen. Aber buchstäblich zum ersten Mal in meinem Leben wollte ich ihnen nicht mein Herz ausschütten. Sie waren Lucas’ Lehrer; es wäre Lucas gegenüber nicht fair, ihnen von seinen Unterstellungen zu berichten. Außerdem würde das Sprechen über die Tatsache, dass es mit mir und Lucas offenbar vorbei war, noch ehe es richtig angefangen hatte, den Verlust erst wirklich und real werden lassen. Oder so.
    »Mit mir ist alles in Ordnung.«
    Mum und Dad tauschten Blicke aus. Sie merkten natürlich, dass ich log, aber sie wollten nicht in mich dringen. »Weißt du was«, sagte Dad und ging zum Plattenspieler. »Geh noch nicht wieder runter in dein Zimmer.«
    »Wirklich nicht?« Normalerweise besagten die Sonntagabendregeln, dass ich zurück zu den Schlafräumen ging, um noch ein bisschen zu lernen, kaum dass das Essen vorbei war.
    »Es ist eine klare Nacht, und ich dachte, du hättest vielleicht Lust, mal wieder das Teleskop zu benutzen. Ich wollte auch Frank Sinatra auflegen. Ich weiß doch, wie du Ol’ Blue Eyes liebst.«
    »Und wie sieht es mit Fly Me to the Moon aus?«, fragte ich, und wenige Augenblicke später sang Frankie-Boy es für uns alle. Dann zeigte ich Mum und Dad die Andromeda-Galaxis, indem ich sie aufforderte, vom Pegasus aus hochzublicken und in nordöstliche Richtung zu schauen, bis sie das weiche, verschwommene Glühen einer Million von Sternen weit, weit weg entdeckten. Danach verbrachte ich viel Zeit damit, durch den Kosmos zu streifen, und jeder Stern, den ich wiedererkannte, war wie ein alter, lange verloren geglaubter Freund.
     
    Am nächsten Morgen auf dem Weg zum Geschichtskurs erhaschte ich auf dem Flur einen kurzen Blick auf Lucas, und zwar im gleichen Augenblick, in dem auch sein Blick auf mich fiel. Das Sonnenlicht schien durch die bunten Glasfenster und badete ihn in Herbstfarben, und es schien mir, dass er noch nie so schön ausgesehen hatte.
    Als sich jedoch unsere Blicke kreuzten, verlor der Moment seine Magie. Lucas sah verletzt aus und wirkte ebenso verwirrt und verloren, wie ich mir seit dem Streit im Restaurant vorkam. Eine schreckliche Sekunde lang fühlte ich mich schuldig, denn ich wusste, dass ich ihm wehgetan hatte. Auch in seinen Augen konnte ich Schuld lesen. Dann biss Lucas die Zähne zusammen und drehte sich von mir weg, die Schultern leicht nach vorne gebeugt. Innerhalb von Sekunden war er in der Masse von Uniformen verschwunden und nichts mehr als eine weitere, unauffällige Person in Evernight.
    Vielleicht sagte er sich mal wieder, dass es am besten war, sich von den Leuten fernzuhalten. Ich erinnerte mich, wie er sich benommen hatte, als wir beisammen waren. Wie viel fröhlicher und gelöster er doch gewesen war, freier - und ich hasste die Vorstellung, dass ich ihn dazu gebracht haben könnte, sich wieder vor der Welt zu verschließen.
    »Lucas lässt total die Ohren hängen, wenn er im Zimmer ist«, teilte mir Vic später am gleichen Tag mit, als wir uns zufällig auf der Treppe begegneten. Vic war vernünftig angezogen, was selten genug passierte, zumindest von den Knöcheln ab aufwärts, denn die roten Chucks, die er an den Füßen hatte, waren definitiv nicht Teil der Uniform. »Er ist ja sowieso eher ein grüblerischer Typ, aber das geht über das übliche Grübeln hinaus. Er ist supergrüblerisch. Megagrüblerisch. Absolut extrem grüblerisch.« Er unterstrich das

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