Evernight Bd.1 Evernight
einen Weg geben, alles wiedergutzumachen. Ich musste irgendetwas tun.
Ich werde mit Lucas sprechen. Gleich morgen früh. Nein, zuerst hat er seine Prüfung . Es war seltsam, in solchen Augenblicken über etwas so Profanes wie ein Examen grübeln zu müssen. Ich kann ihn danach abfangen. Er wird nicht mit mir reden wollen, aber er wird in der Halle auch nicht anfangen, irgendetwas von Vampiren zu schreien. Das verschafft mir eine Chance, und wenn mir nun auch noch einfällt, was ich sagen könnte…
Was dann? Ich könnte Lucas anlügen. Ihn verletzen. Vielleicht hatte er recht gehabt, mir so schnell wie möglich aus dem Weg zu gehen.
Trotzdem wusste ich, dass ich es versuchen musste. Wenn ich schon Gefahr lief, Lucas für immer zu verlie ren, dann gab es nichts, was ich nicht tun würde - flehen, weinen oder jedes Geheimnis verraten, das ich jemals gehabt hatte. Ich wusste nur, dass ich Lucas dazu bringen musste zu begreifen …
Nach einer langen, schlaflosen Nacht stand ich auf, zog mein schwarzes Sweatshirt und meinen Rock an und ging wie betäubt nach unten. Ich dachte, ich hätte es so abgepasst, dass ich zum Ende von Lucas’ Prüfung auftauchen würde, aber offensichtlich durften die Schüler gehen, sobald sie das Examen beendet hatten, und Lucas war früh fertig geworden, was mir zwei andere Jungs aus seiner Klasse erzählten. Das bedeutete, dass er vermutlich schon wieder zurück in seinem Zimmer war. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und schlich mich in den Schlaftrakt der Jungen. Vic und Lucas hatten mir irgendwann mal von außen ihr Fenster gezeigt, sodass ich ihren Raum vielleicht finden könnte, wenn mich nicht vorher jemand erwischte.
Würde mein unangekündigtes Auftauchen in Lucas’ Zimmer ihn zu Tode erschrecken? Vielleicht. Aber dieses Risiko würde ich eingehen müssen. Ich konnte es nicht mehr länger aushalten. Die Anspannung nagte an mir und brachte mich völlig aus der Fassung. Selbst wenn Lucas mir sagen würde, ich solle mich nie wieder in seiner Nähe blicken lassen, würde ich es wenigstes wissen. Etwas nicht zu wissen war das Allerschlimmste.
Ich wusste, dass ich mein Ziel erreicht hatte, als ich auf eine Tür stieß, an der zwei Poster hingen - eines von Alfred Hitchcocks Vertigo, ein anderes mit der Aufschrift Faster, Pussycat! Kill! Kill! Auf mein Klopfen hin kam keine Antwort, sodass ich zögernd die Tür aufstieß. Niemand war im Zimmer. Es roch nach Lucas: würzig und holzig, beinahe so, als wäre ich wieder im Wald. Die eine Hälfte des Zimmers war mit Postern von Actionfilmen und heißen Bräuten mit Knarren dekoriert; das war die Hälfte mit dem Bett, über dem ein Batiktuch lag. Mit anderen Worten: Vics Hälfte. Lucas’ Seite des Raumes war dagegen beinahe kahl. An den Wänden gab es weder Bilder noch Poster, und an der kleinen Pinnwand, die über jedem Bett in Evernight hing, steckte nichts als sein Stundenplan und eine Eintrittskarte von Verdacht , unserer ersten Verabredung. Eine Armeedecke lag über seinem Bett ausgebreitet.
Offensichtlich blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten. Unsicher, was ich tun sollte, lief ich zum Fenster, von dem aus man einen Ausschnitt der Schotterauffahrt zur Schule überblicken konnte. Einige Autos waren zu sehen, meistens von Eltern, die ihre Kinder am letzten Tag der Prüfungen abholten und über Weihnachten mit nach Hause nahmen. Die menschlichen Kids natürlich. Ich sah, wie sich Leute in die Arme fielen und Gepäckberge einluden - und Lucas, der durch die Vordertür trat und seinen Rucksack über eine Schulter geschlungen hatte.
»O nein«, flüsterte ich. Ich drückte meine Hände so kräftig gegen die Scheibe, dass ich befürchtete, sie - oder ich - würde zerspringen, aber Lucas blieb nicht stehen. Er marschierte geradewegs auf eine lange, schwarze Limousine mit getönten Fenstern zu. Die Autotür wurde geöffnet, und ich versuchte, einen Blick hinein zu erhaschen, aber ich konnte niemanden erkennen. Jetzt ergab seine leergeräumte Zimmerhälfte Sinn, denn mir wurde klar, dass er Evernight für die Weihnachtsferien verlassen hatte, ohne sich zu verabschieden, und dass er vermutlich auch nicht wiederkommen würde.
»Hey Mann, können sich jetzt Mädels und Jungs die Räume teilen? Ist ja phänomenal!« Hinter mir trat Vic ein. Ich warf ihm ein schwaches Lächeln zu, dann drehte ich mich wieder um und sah, wie Lucas’ Wagen vom Schulgelände fuhr. Die Limousine schoss davon, als ob sie es eilig hätte.
»Nicht
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