Evernight Bd.1 Evernight
Beständigkeit gibt es nicht. Die Leute ziehen von Ort zu Ort, verlieren sich in Annehmlichkeiten oder Luxus oder allem, was sonst noch die Macht hat, einen von der gelegentlichen Langeweile der Unsterblichkeit abzulenken. Das Leben geht weiter, und diejenigen von uns, die nicht lebendig sind, haben Schwierigkeiten mitzuhalten.«
»Was der Grund dafür ist, dass wir in Evernight sind«, sagte ich und dachte an den Kurs Moderne Technologien und daran, wie verwirrt alle gewesen waren, als Mr. Yee uns das Prinzip der E-Mails erklären wollte. Viele von uns hatten schon davon gehört, und etliche wussten sogar, wie man sie nutzte, aber ich war die Einzige, die tatsächlich verstand, wie sie funktionierten, noch ehe Mr. Yee es uns erläuterte. Es war die eine Sache, sich durch das Leben im einundzwanzigsten Jahrhundert zu schummeln, aber eine ganz andere, wirklich zu verstehen, was geschah. »Was ist mit denen, die zu alt aussehen, um zur Schule zu gehen?«
»Tja, das ist ja nicht der einzige Ort, den es für uns gibt, weißt du?«
Mum ließ sich eine weitere Girlande reichen. »Es gibt Kurorte und Hotels und andere solche Orte, wo man davon ausgehen kann, dass die Leute einigermaßen vom Rest der Welt abgeschnitten sind, und wo man kontrollieren kann, wer sich dort aufhält. Früher hatten wir viele Klöster und Konvente, aber heutzutage ist es schwierig, neue zu gründen. Die Protestantische Reform hat einige ausgelöscht… Hugenottenaufstände, Feuer, all diese Sachen. Die Bewohner konnten nicht einfach behaupten, sie seien Katholiken, ohne alles nur noch schlimmer zu machen. Heute halten wir uns fast nur noch an Schulen und Clubs.«
Dad fügte hinzu: »Nächstes Jahr wollen sie in Arizona ein angebliches Rehabilitationszentrum eröffnen.«
Ich stellte mir uns alle vor, die wir in der ganzen Welt verstreut waren und nur hier und da und vielleicht einmal im Jahrhundert aufeinandertrafen. Würde so meine ganze Existenz aussehen?
Es klang so unerträglich einsam. Was nützte es schon, unendlich lange leben zu können, wenn es ein Leben ohne Liebe war? Mum und Dad hatten das Glück gehabt, einander zu finden und Hunderte von Jahren miteinander zu verbringen. Ich hatte zwar Lucas gefunden, ihn aber innerhalb weniger Monate wieder verloren. Ich versuchte, mir selbst zu sagen, dass mir das eines Tages unbedeutend vorkommen würde, dass die Zeit, die ich mit Lucas verbracht hatte, nichts als ein Wimpernschlag sein würde, aber ich konnte das einfach nicht glauben.
Und so verbrachte ich den Großteil meiner ersten Ferienwoche in meinem Zimmer. Oft lag ich einfach nur im Bett. Hin und wieder überprüfte ich meine E-Mails in dem verlassenen Computerraum und hoffte entgegen aller Wahrscheinlichkeit auf eine Nachricht von Lucas. Stattdessen erhielt ich nichts als einige Schnappschüsse von Vic, der mit Sonnenbrille und Weihnachtsmannmütze am Strand lag. Ich fragte mich, ob ich einfach selbst an Lucas schreiben sollte, um nicht darauf warten zu müssen, dass er sich zuerst meldete, aber was konnte ich ihm schon sagen?
Meine Eltern banden mich in Ferienaktivitäten ein, wann immer es möglich war, und ich versuchte, mich darauf einzulassen. Was für ein Glück, dass ich das Kind der wohl einzigen Vampireltern in der Weltgeschichte war, die Früchtebrot backten. Hin und wieder sah ich, wie sie Blicke tauschten. Offenbar hatten sie bemerkt, wie sehr ich litt, und waren kurz davor, mich zu fragen, was denn los sei.
In gewisser Weise wollte ich es ihnen gerne erzählen. Manchmal sehnte ich mich nach nichts mehr, als mit der ganzen Geschichte herauszuplatzen und in ihren Armen zu weinen, und wenn das unreif klang, war es mir auch egal. Was mir nicht egal war, war die Tatsache, dass meine Eltern es Mrs. Bethany würden melden müssen, wenn ich ihnen die Wahrheit verriet, und ich vertraute nicht darauf, dass Mrs. Bethany nicht losziehen und Lucas das Leben zur Hölle machen würde.
Um Lucas’ willen musste ich meinen Kummer für mich behalten.
Ich hätte die ganzen Ferien so weitermachen können, wenn es nicht zwei Tage vor Weihnachten wieder zu schneien begonnen hätte. Diesmal war der Schnee üppiger als beim letzten Mal und hüllte das Schulgelände in Stille, Weichheit und blauweißes Glitzern. Ich hatte Schnee schon immer geliebt, und allein der Anblick der weißen Decke, die schimmernd und vollkommen über der Landschaft lag, riss mich aus meiner Niedergeschlagenheit. Ich zog Jeans, Stiefel sowie meinen dicksten
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