Evers, Horst
nur so sitzen - das kommt ja in Berlin in bestimmten
Ecken durchaus häufig vor, dass da die Angelina Jolie einfach nur so sitzt -,
dann würde man vermutlich denken: «Ach, guck mal da, die Angelina Jolie, die
sitzt auch nur wieder so da, die hat ja wohl den Tag über viel Langeweile.»
Hätte sie jetzt aber zum Beispiel Musils «Mann ohne Eigenschaften» in der Hand,
würde man natürlich sofort denken: «Jetzt guck mal an, die Angelina Jolie.
Boah, du, die kann ja sogar Deutsch.» Wie wichtig das richtige Buch in der Hand
ist, weiß ich schon länger, jedenfalls seitdem ich mir einen Tolstoi-«Krieg und
Frieden»-Schutzumschlag besorgt habe, um darin die Harry-Potter-Bände zu
lesen.
Allerdings
verliert man auch wieder viel vom Imagegewinn, wenn man den Schutzumschlag dann
verkehrt herum um das andere Buch legt. Also eigentlich verliert man sogar
alles.
Da wäre
ein E-Book dann vielleicht doch besser, da gibt es kein Oben oder Unten, und
wenn man es dreht, dreht sich sogar der Text mit. Wer also beim Lesen oft sein
Buch hin und her und auf den Kopf dreht, für den wäre natürlich ein E-Book ein
richtig großer Gewinn.
Was Günter Grass von mir denkt
Vor zwei
Jahren war ich auf der Frankfurter Buchmesse zur «Langen Nacht des Lesens»
eingeladen. Eine der wichtigsten Messeveranstaltungen, wo sehr große, sehr
berühmte Autoren eine ganze Nacht lang nacheinander interviewt werden,
eigentlich eine Radiosendung, aber im Sendesaal, vor vielen hundert Menschen,
also schon richtig großer Zirkus. Wobei, «die ganze Nacht» war mehr die
Ankündigung aus der Pressemitteilung. Die Veranstaltung ging von 19 bis 23 Uhr,
also was der Frankfurter eben so die ganze Nacht nennt. Leider gehörte ich
nicht im engeren Sinne zu den sehr großen, sehr berühmten Autoren, sondern
sollte nur den Abend mit kurzen, lustigen Geschichten zwischen den Interviews
auflockern. Eine Tätigkeit, die die Freundin, als ich ihr von dem Engagement
erzählte, schlicht mit einem «also quasi Pausenclown» kommentierte.
Ich
erklärte ihr in einem freundlichen, angemessenen, nicht zu sehr belehrenden
Ton, dass die edle Aufgabe des Auflockerers weit, aber meilenweit von der
eines Pausenclowns entfernt sei. Einen Abend aufzulockern gehört zu den anspruchsvollsten
Aufgaben, mit denen man überhaupt betraut werden kann. Wenn es jemand für
notwendig erachtet, einen anderen zu verpflichten, damit dieser einen Abend
auflockert, und dafür auch bereit ist, eine durchaus erwähnenswert würdevolle
Gage zu zahlen, dann kann man sich in etwa vorstellen, wie locker der Abend
vermutlich ohne Auflockerer verlaufen dürfte. Die Auflockerer sind so etwas wie
die Meißel oder auch die Presslufthämmer des Literaturbetriebs. Wobei ein
guter Auflockerer natürlich sofort spürt, ob eher ein Miniaturmeißel oder ein
Presslufthammer benötigt wird. Dennoch bleibt der reine Vorgang des Auflockerns
hochkompliziert. Vielleicht kann man die Rolle des Auflockerers am ehesten mit
der der zwei Salatblätter vergleichen, die man neben das Eisbein auf den Teller
legt, damit das Eisbein nicht ganz so fett wirkt. Und wer jetzt schon einmal
als Salatblatt versucht hat, ein fettes Eisbein etwas gesünder wirken zu
lassen, der ahnt, wie diffizil und ehrenwert die unscheinbare Aufgabe des
Auflockerers sich in der Praxis darstellt.
Die
Freundin nickt und dankt mir für meine treffliche Ausführung mit einem
zusammenfassenden «Sag ich doch: quasi Pausenclown».
Aber das
Auflockern war gar nicht mein Erlebnis bei dieser Veranstaltung. Mein Erlebnis
war, wie ich Günter Grass einen Kaffee gebracht und ihm meinen Stuhl
überlassen habe. Was jetzt eigentlich auch kein so großartiges Erlebnis ist,
vor allem, weil ja praktisch überhaupt nichts weiter geschehen ist, als dass
ich eben Günter Grass einen Kaffee gebracht und ihm meinen Stuhl überlassen
habe. Wobei, genau genommen bin ich im Aufenthaltsraum neben der Bühne ja nur
aufgestanden, um mir einen Kaffee zu holen. Währenddessen jedoch kamen Günter
Grass und sein Stab herein. Insgesamt circa zehn Leute. Doch ausgerechnet
Günter Grass setzte sich just auf meinen Stuhl. Als ich zurückkomme - ganz im
Tran, überlegend, welchen Text ich denn jetzt in meiner Eigenschaft als
Auflockerer vor Günter Grass lesen würde -, bemerke ich Günter Grass erst, als
ich schon fast auf ihm drauf sitze. Ich denke noch: «Boah, ey, mein Stuhl sieht
aus wie Günter Grass», aber dann begreife ich, dass mein Stuhl der echte Günter
Grass
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