Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evers, Horst

Evers, Horst

Titel: Evers, Horst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fuer Eile habe ich keine Zeit
Vom Netzwerk:
einfach normal, sondern schon
irgendwie anrührend betrunken. Geradezu herzerwärmend. Ein Zustand der Trunkenheit,
dem man genau ansehen kann: Das ist ihm nicht in den Schoß gefallen. Daran hat
er lange, richtig lange in äußerst mühevoller Kleinarbeit gefeilt. Vermutlich
war er die ganze Nacht beschäftigt, bis er endlich diese Qualität der
Trunkenheit erreicht hat. Das war sicher anstrengend, weshalb sich in seinem
Gesicht auch eine gewisse Erschöpfung und Verzweiflung spiegelt. Verzweiflung,
die klar erkennen lässt: Schon der Tag vor der Nacht kann für ihn nicht gut
verlaufen sein. Das hat offensichtlich mit dem Anziehen angefangen, wie man an
der Hose mehr als deutlich erkennen kann. Schon das Anziehen hatte nicht gut
geklappt und war bis jetzt auch noch nicht richtig abgeschlossen. Wer kennt
nicht solche Tage?
    Da stand
also dieser völlig betrunkene Mann mit offener Hose und großen, traurigen Augen
im Bahnhof und schrie verzweifelt: «Ich will doch nur ficken, fressen und
saufen!!!» Und ich dachte: Ja, dieser Mann spricht aus, was viele denken. Und
sollte er deshalb jetzt Bücher schreiben? Oder seine Thesen in Talkshows
vertreten und darüber diskutieren? Mit Herrn Baring und Erika Steinbach? Wobei
noch erschwerend dazukommt, dass sein Themenbereich mich eigentlich viel mehr
interessieren würde als Sarrazins Eitelkeiten. Diese Problematik ist mir viel
näher, hat viel mehr mit meiner Lebenswirklichkeit zu tun. Da hätte auch ich Freude
an längeren Diskussionen, wir könnten Meinungen und Erfahrungen austauschen.
Sogar ein Buch von diesem Mann im Hamburger Bahnhof würde mich vermutlich mehr
ansprechen. Allein schon von seinem statistischen Material her. Doch bis es so
weit kommt, müssen wohl noch sehr viele Säcke Reis den Rhein runterfließen.
     
    Der große BVG-Streik
     
    Ich hätte
nicht gedacht, dass keiner schimpft. Also dass die BVG streikt, tagelang, und
keiner schimpft. Vor dem U-Bahnhof Möckernbrücke gibt es keinerlei
Warte-Infrastruktur. Keine Bank, keine Werbung zum Angucken und auch keinerlei
Schutz zum Unterstellen. Vor Regen oder Hagel. Es ist kalt, es ist total
windig, es ist sehr, sehr ungemütlich. Man kann hier nix machen als einfach nur
stehen. Und trotzdem schimpft keiner. Eine mittelgroße Gruppe von Berlinern und
Berlinerinnen, die nichts anderes machen kann als nur stehen und warten, und
trotzdem schimpft keiner. Wie kann so etwas sein?
    Kneife
eine der Frauen, um mal zu gucken, ob sie überhaupt echt sind. In den Oberarm.
    Sie guckt mich verblüfft an, fragt
dann, was das soll. Sage, ich wollte nur mal gucken, ob sie echt ist. Sie fragt
mich, ob sie mir mein Gehirn wegen Klimaschutz vom Netz genommen haben.
    Ich versuche zu erklären: Das sei
doch komisch, keiner schimpfe, so, als ob alle nicht echt wären. Sie bietet mir
an, meine Nase mit meinem linken Ohr zu putzen, so lange, bis ich das Gefühl
habe, sie wäre echt. Überlege kurz, finde die Vorstellung eigentlich interessant.
Lehne dann aber doch ab.
    Der Mann neben der Frau fragt, was
los sei. Die Frau sagt: Der Gehirnamputierte, damit meint sie wohl mich, habe
ihr in den Arm gekniffen.
    Der Mann
sagt: «Ja, und?» Die Frau bietet ihm an, ihm mit seinem linken Ohr die Nase zu
putzen.
    Ein Mann
mit Mütze sagt: «In Singapur würde man wegen so was zu zweihundert Stockhieben
und fünf Monaten Gefängnis verurteilt.»
    Eine
rauchende Frau erwidert: «Die Stockhiebe gibt es in Singapur auch schon, wenn
man auf dem Bürgersteig hustet.»
    Der
Mützenmann lobt: «Ja, Singapur, die haben ihre Leute im Griff.»
    Die gekniffene Frau behauptet: «In
Singapur, da würde sich die BVG so einen Streik nicht trauen.» Die Raucherin
grinst: «Ja, in Singapur, da ist die BVG überhaupt nur ein ganz kleines
Licht.»
    Ein Mann
mit Brille behauptet: «In Japan gibt es dreiundsiebzig verschiedene Worte für
Arbeit, aber kein einziges für Streik.» Die neben ihm stehende, wohl zu ihm
gehörende Frau zeigt auf ihn und ergänzt: «Und so einen Scheiß redet der den
ganzen Tag. Können Sie sich das vorstellen? Den ganzen Tag, in einer Tour redet
der so einen Mist. Das wird nicht mal besser, wenn er besoffen ist.» Der Mann
lacht als Einziger, dann geben sich die beiden einen Kuss. Jemand überlegt:
«Japan, Japan, ist da nicht neulich dem Elmar Wepper seine Frau gestorben? An
einer Kirschblütenallergie oder so?»
    «Der Zumwinkel», murmelt ein Mann
mit Bart, «der muss nicht auf den Ersatzbus warten, der wird gefahren, zur Not
auch

Weitere Kostenlose Bücher