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Evers, Horst

Evers, Horst

Titel: Evers, Horst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fuer Eile habe ich keine Zeit
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Mücken zu erschlagen, sondern nahmen meinen
Nachbarn mit auf die Wache, woran man wieder einmal sieht: Ein Plan kann noch
so genial sein, wenn die Situation gegen dich läuft, dann hast du keine Chance.
    Aber das
Aller-, Allerschlimmste: In der Ausnüchterungszelle waren natürlich auch
wieder fünfzehn bis zwanzig Mücken, wenn nicht noch mehr, und die waren
natürlich völlig nüchtern und ausgeruht und hungrig, und die haben hingelangt,
aber frag nicht, also aus Sicht der Mücken kann man sagen: die reinste
Bartholomäusnacht. Und so sah er dann auch aus. Ein Streuselkuchen ist ein
Kinderpopo dagegen.
    Wobei, von
wegen Bartholomäusnacht. Ich will den Mücken keine religiösen Motive
unterstellen. Ich weiß ja noch nicht mal, ob die überhaupt katholisch waren.
Obwohl, Allgäu und so, wahrscheinlich waren die schon katholisch. Aber ob die
meinen Nachbarn wirklich zeichnen wollten, wegen seiner Sünden, quasi
Ganzkörperfresko oder so was, das weiß ich jetzt auch nicht. Man kann und
sollte der Religion nicht immer die Schuld geben, zumal in diesem Fall die eigentlichen
Ursachen ja, wie erwähnt, beim Klimawandel und der Deutschen Bahn AG zu suchen
sind. Als der Herr Riechmann dann zurückgekommen ist und noch ein paar Sachen
aus der Familienwohnung holen wollte, hat die Frau ihn, so zerstochen und
mitgenommen, wie er war, natürlich im ersten Moment gar nicht richtig erkannt
und wohl für einen Einbrecher oder so was gehalten. Wobei später, als sie
richtig hingeguckt hat, hat sie ihn natürlich schon erkannt, aber da war er
bereits bewusstlos, und der Krankenwagen musste kommen, und diese riesige
Platzwunde auf der Stirn und der Kopfverband machen seine Gesamterscheinung im
Moment auch nicht gerade einladender. Aber er ist wohl nicht unzufrieden mit
der Kopfverletzung, denn er sagt, jetzt habe seine Frau auch wenigstens so ein
bisschen ein schlechtes Gewissen, und vielleicht kommen sie sich ja darüber
auch irgendwann wieder näher. Also über ihr schlechtes Gewissen.
    Der
Nachbar brüllt: «So, jetzt hab ich gefrühstückt. War teilweise lecker. Jetzt
mache ich mir einen frischen Kaffee, wenn jemand einen möchte. Vorher rufe ich
aber meine Frau an und frage, ob sie mir immer noch böse ist. So, wie ich sie
jeden Tag anrufe und jeden Abend und frage, bis sie mal antwortet.»
    Ich habe
ja trotz allem das Gefühl, er wird sie noch sehr, sehr oft anrufen müssen, bis
sie ihm antwortet. Aber sollte sie es doch irgendwann tun, dann werden wir
garantiert die Ersten sein, die davon erfahren.
     
    Was viele denken
     
    Vor ein
paar Nächten habe ich geträumt, ein Sack Reis wäre auf Thilo Sarrazin gefallen.
Die Freundin meinte am nächsten Tag, ich hätte im Schlaf gelacht.
    Daran muss
ich denken, als sich am frühen Sonntagmorgen im Regionalzug von Kiel nach
Hamburg zwei Ehepaare über das Buch von Sarrazin unterhalten. «Sarrazin hat völlig
recht», verkündet einer der Männer, die wohl in einer Kleinstadt bei Kiel
leben. Er wisse das aus erster Hand, er sei ja hin und wieder beruflich in
Berlin, und da habe er auch schon beobachten können, dass dort alle Deutschen
längst ständig große Angst haben, aus dem Haus zu gehen. Also zumindest in den
entsprechenden Bezirken. Es ist eigentlich schon etwas ruhiger geworden um
Herrn Sarrazin. Aber sicher nicht für lange. Früher hat man Harald Juhnke
betrunken gemacht, wenn man in Berlin eine Schlagzeile brauchte, heute hält man
Thilo Sarrazin ein Mikrophon hin.
    Bald wird
man ihm sicher wieder die Gelegenheit geben, Schwächere mit einem Scherz zu
demütigen. Immerhin verdankt ihm die Soziologie nun den neuen Begriff des
Sarrazin-Deutschlands; was früher als dumpfe Masse mühsam umschrieben werden
musste, kann jetzt mit dieser Bezeichnung schnell und einfach benannt werden.
Das spart Zeit.
    «Wir dürfen
uns unser Land nicht wegnehmen lassen, auch nicht einzelne Stadtteile!», ruft
der andere Mann. «Wir brauchen einen Aufstand der Mutigen. Mutige wie Thilo
Sarrazin. Dieser Mann spricht aus, was viele denken!» Sein Blick wandert durch
den Waggon, als wolle er schauen, ob nicht jemand klatschen will. Denke, das
ist der Nachteil, wenn einem ein Erste-Klasse-Ticket gezahlt wird. Die Zahl der
mutigen Rebellen ist hier einfach deutlich höher. Im Hamburger Hauptbahnhof
habe ich eine halbe Stunde Aufenthalt. Beschließe, ein wenig frische Luft zu
schnappen. Fast direkt vor dem Haupteingang entdecke ich dabei einen sehr,
sehr, sehr betrunkenen Mann. Aber er ist nicht

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