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Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonid Leonow
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auf diese Glücksexpedition gegangen zu sein?« fragte er, ihren braunen Teint, die Farbe ihres Haars und all das andre genießend, das auch der verblichene Stratonow seinerzeit so bewundert hatte.
    »Oh, you are nice!« Fast schon traf sie den singenden Tonfall, in dem ihre englischen Freundinnen ihr Entzücken äußerten. »Nur eins macht mich nervös: Warum sitzt du immer gegen das Licht und schaust mit solchen Argusaugen?«
    »Ich möchte sehen, was du von mir denkst, Jenny.«
    »Vor allem denke ich, du bist der schönste Mann auf der Welt …«
    Er unterbrach sie, indem er sie mit der Hand berührte.
    »Ich bin über die Maßen froh, Jenny, daß du dich an mein Äußeres gewöhnt hast. Es hat mir seit der Schule viel Verdrießlichkeit bereitet. Bei Tennyson gibt es eine Zeile: Show me the Man hath suffered more than I. Als Junge glaubte ich immer, sie gälte mir. Als der himmlische Töpfer mich entwarf und modellierte, hatte er wohl einen über den Durst getrunken. Ich nehme an, mit ein wenig Gedächtnis und ein wenig gelehrtem Verstand, die mir selbst Feinde nicht absprechen, wollte er lediglich sein unschönes Werk ausgleichen …« Melancholie und Humor standen Mr. Pickering, sie verliehen seinen Zügen etwas gewinnend Anziehendes, dessen sie sonst aus gewissen Gründen entbehrten. »Es ist gefährlich, eine Ehe allein auf den schwankenden Boden weiblicher Dankbarkeit zu bauen. Um verhängnisvollen Irrtümern vorzubeugen, spreche ich das aus, bevor du ein für allemal Mrs. Pickering geworden bist.«
    Da gab Evgenia Ivanovna errötend und stockend zu, daß er tatsächlich bei gewissen Bewegungen ein wenig eigentümlich, ja lustig wirke und wohl nur mit Mühe ein schöner Mann genannt werden könne.
    »Aber mein Gott … schön ist doch immer das, was wir lieben«, entfuhr es ihr zur höchsten Freude des Mr. Pickering, welcher hinter diesem Bekenntnis weniger das Taktgefühl oder die Aufrichtigkeit sah als einen scharfen, noch unausgebildeten Verstand. Sie fügte hinzu, sie halte ihn, den Engländer, für einen Schutzengel, der heimlich auf Erden wandle und ihren Jammer mit Blumen schmücke. Was den Körper angehe, so sei der bei Engeln ja nur Maskierung.
    »Ich gebe zu, nicht alle Engel, Doc, nehmen ihre Vormundschaftspflichten so ernst wie du.«
    »Na, ich persönlich würde lieber unsichtbar bleiben, damit meine Kinder nicht das Stottern kriegen«, witzelte Mr. Pickering düster und äußerte sein Bedauern, nicht ständig, wie Mokanna, mit einem Vorhang vorm Gesicht herumlaufen zu können.
    Wir können hier nicht umhin, auf einige bedauerliche Umstände im Leben dieses ehrenhaften Gelehrten und Gentlemans hinzuweisen, der schon mit siebenundzwanzig Jahren die Annalen redigierte und nach dem Ableben Layards in der assyrisch-babylonischen Archäologie eine unumstrittene Autorität genoß. Den Neulingen im Hörsaal stockte der Atem, sobald er zu einer seiner hinreißenden Improvisationen ansetzte, nichtsdestoweniger vergingen etliche Minuten, in der Regel sieben bis fünfzehn, bevor sich ihre leichtfertigen Heiterkeitsausbrüche gelegt hatten. Grund war Mr. Pickerings Äußeres. Dieses, jeder einzelne Zug wie auch alle zusammen, vergällte ihm nicht nur das Leben, es beeinträchtigte auch seine politische Laufbahn, da es sein Publikum in frivolangeregte Stimmung versetzte, die mit Wählervertrauen nicht zusammenpassen wollte. Nicht genug damit, daß seine rechte Seite infolge seiner verzweifelten Magerkeit allen Naturgesetzen zum Hohn gleichsam auf der linken saß, was sich übrigens beileibe nicht mit seinem gesegneten Appetit zu jeder Tag- und Nachtzeit vertrug, ließ auch sein Gesichtsausdruck manches zu wünschen übrig. Nicht zu leugnen ist ferner, daß seine hart zur Nasenwurzel hingerutschten Augen in gewissem Licht bedauerlich an eine zweiläufige Flinte von vorn erinnerten. Einige andere Mißlichkeiten, welche hier nur aus Ehrfurcht vor dem Gelehrten übergangen werden sollen, etwa die außergewöhnlich langen Arme und sein schlaksiger Wuchs, boten so dankbaren Stoff für Karikaturen und Witzeleien, daß sich selbst manch guter Freund, Gentleman wie er, anzügliche Späße nicht verkneifen konnte. Was blieb dem Gelehrten anders übrig, als, gleich der Sonne, um die eignen Flecken zu verbergen, die Menge unentwegt zu blenden.
     
    Familie besaß Mr. Pickering nicht. Weibliche Wesen sah man kaum in seinem Haus, außer der Köchin und einer älteren, sehr distinguierten Dame von verblichener Schönheit

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