Evies Garten (German Edition)
sind wir in die Stadt gegangen und Adam hat gesagt, er will dort bleiben, aber ich hab gesagt, dass ich nach Hause gehen muss. Also haben wir uns dort getrennt, und das war das Letzte, was ich von ihm gesehen habe.«
Vater kratzte sich am Bart wie immer, wenn er nachdachte.
»Ihr seid also gleich nachdem ihr das Saatkorn eingepflanzt habt, in die Stadt gegangen?«
»Ja.«
»Und um wie viel Uhr war das ungefähr?«
»Das weiß ich nicht, weil ich meine Uhr nicht dabeihatte.«
»War es noch hell?«
Evie zuckte mit den Schultern.
»Was habt ihr gemacht, bevor ihr das Saatkorn gepflanzt habt?«
»Bloß gespielt.«
»Ich wollte dich um zwölf zum Mittagessen holen, aber du warst nicht zu Hause. Da habe ich gemerkt, dass du verschwunden bist. Glaubst du, ihr habt das Saatkorn ungefähr zu diesem Zeitpunkt gepflanzt?«
»Ich glaube schon.«
»Was hast du gemacht, nachdem ihr euch in der Stadt getrennt habt?«
»Ich bin zurückgekommen, weil ich … weil ich sehen wollte, ob das Saatkorn schon gewachsen war, aber ich bin wohl vom Weg abgekommen und in die falsche Richtung gegangen, und dann … Dann war ich müde und habe mich hingesetzt, um mich auszuruhen. Und als ich aufgewacht bin, habe ich die Suchleute nach mir rufen hören.«
Vater kniff die Augen zusammen. Er schwieg eine ganze Weile, und sie ahnte, was er dachte.
» In jeder Geschichte steckt ein Körnchen Wahrheit .«
»Schwer zu glauben, dass du so lange geschlafen hast«, sagte er schließlich, »und außerdem hast du den guten Orientierungssinn deiner Mutter geerbt, Evie. Soweit ich mich erinnern kann, hat sich keine von euch je verlaufen.« Er hielt inne. »Also sag mir … wie konntest du in die falsche Richtung laufen?«
Evie schwieg.
»Ich weiß nicht«, antwortete sie schließlich. »Es ist einfach passiert.«
Vater zog Mütze und Handschuhe aus und fuhr sich mit den Fingern müde durchs Haar. Das Schneetreiben wurde stärker.
»Evie«, sagte er schließlich, »ich glaube, du weißt, wo der Junge steckt. Das Einzige, was ich nicht verstehe, ist, warum du ihn deckst. Du weißt doch, wie weh ein Verlust tut, und Adams Eltern sind ganz verzweifelt, weil er weg ist. Du siehst selbst, dass das Wetter immer schlechter wird. Wenn Adam sich hier draußen versteckt, geht er ein großes Risiko ein. Wenn du ein ganz normales Kind wärst, dann könnte ich ja glauben, dass du nicht verstehst, wie weh es tut, einen geliebten Menschen zu verlieren.«
Ihr Vater wartete, und Evie starrte auf ihre Füße.
»Weißt du«, fuhr Vater nach einer Weile fort, »als der Suchtrupp da draußen herumgelaufen ist und ich untätig im Haus bleiben musste, um auf dich zu warten … also da dachte ich, wenn dir irgendwas geschehen würde, dann würde ich aufgeben. Da hab ich jeden Moment bereut, den ich je draußen bei der Arbeit verbracht habe, statt ihn mit dir zu verbringen.«
Evie hob rasch den Kopf. Sie machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch Vater legte seinen Zeigefinger auf ihre Lippen.
»Es ist nur … als deine Mutter starb, dachte ich, ich könnte alles besser machen, wenn wir hierherziehen, weg von den anderen. Ich weiß auch nicht, warum ich das gedacht habe, aber es war so … aber als du dann verschwunden warst, hatte ich Angst, dass du weggelaufen bist, um zu deiner Großmutter nach Michigan zurückzugehen …« Vaters Augen füllten sich mit Tränen und er konnte nicht weitersprechen, sondern wischte sie mit dem Ärmel ab.
Schließlich konnte Evie es nicht länger ertragen. Sie legte die Arme um seine Taille. »Ich wär doch nicht weggerannt«, sagte sie. »Ich würde dich nie verlassen – jedenfalls nicht wegen Großmutter.«
Vater lachte, doch es war ein müdes Lachen. »Mir ist einfach kein anderer Ort eingefallen, an den du hättest gehen können«, sagte er. »Und hätte Maggie mir nicht so ruhig und besonnen zur Seite gestanden …«
Er holte tief Luft. »Ich möchte nicht, dass du das, was du jetzt tust, später einmal bereust. Du musst mir unbedingt sagen, wo Adam ist. Keiner von euch wird bestraft, und wenn Adam Hilfe braucht, dann wird er sie bekommen.«
Evie atmete tief ein. Die Luft war beißend kalt, und ihre Brust schmerzte. »Vater, ich … ich will es dir ja sagen, es ist bloß …«
»Was?«
Maggies Worte klangen Evie in den Ohren. Er glaubt an dich, und früher oder später wirst du auch an ihn glauben müssen .
»Es ist bloß, dass ich nicht glaube, dass du mir die Wahrheit glauben wirst«, erklärte Evie
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