Evies Garten (German Edition)
dort plötzlich hier geworden und ich hab deinen Vater gesehen. Zuerst hab ich gedacht, er sei Alex, aber er war zu groß, um Alex zu sein.«
»Es ist egal, wie ihr es zurückgeschafft habt«, sagte Vater. »Hauptsache, ihr seid jetzt hier.«
Evie nickte, doch sie musste immer an den Baum denken.
Jetzt ist er weg , dachte sie, und sie hatten auch keine Saatkörner mehr. Dann kam ihr ein anderer Gedanke. Vielleicht brauchte sie eines Tages gar kein Saatkorn mehr, um den verzauberten Garten zu finden. Oder ihre Mutter.
Aber erst, wenn die Zeit reif dafür war.
»Kommt«, sagte ihr Vater, »es ist hier draußen zu kalt für euch.«
Evie ließ sich von ihm wegführen, doch sie war immer noch wie benommen. Sie konnte den Blick nicht von den Bäumen ringsherum abwenden, weil die Erinnerung daran, wie gesund sie in der Zauberwelt ausgesehen hatten, noch so stark war.
Schließlich blieb sie stehen und holte tief Luft.
»Vater, sieh doch mal!« Sie brach einen Zweig ab. »Die Bäume hier sind doch in besserem Zustand als die anderen, oder?«
Ihr Vater nahm den Zweig in die Hand und starrte auf sein saftig grünes Inneres, dann sah er sich die Bäume, zwischen denen sie eben hindurchgegangen waren, genauer an.
»Das gibt’s doch gar nicht«, murmelte er. »Wie konnte ich das nicht sehen?« Er betrachtete die lange Baumreihe. »Ich bin sicher schon tausendmal hier vorbeigegangen.« Er überlegte. »Vielleicht gibt es ja auch noch andere, die ich nicht bemerkt habe.«
Adam beugte sich vor. »Woran erkennen Sie einen gesunden Baum?«, wollte er wissen.
»Siehst du das hier?« Vater schüttelte den frischen Schnee vom Zweig. »Der Baum hat eine braune Rinde. Genauso sollte sie aussehen. Sie ist zwar alt, aber die äußere Schicht ist fast gesund. Und darunter …« Er holte sein Taschenmesser heraus und schnitt die Rinde auf. »Die innere Schicht hat die ganze Zeit über gelebt, aber die vernarbte Oberfläche der Außenschicht hat sie am Wachstum gehindert. Doch diese Schicht scheint irgendwie … abzuplatzen.« Er hielt inne. »Weißt du, was das bedeutet?«
Adam schüttelte den Kopf.
»Dass wir vielleicht schon bald Äpfel ernten können. Ich habe schon nicht mehr daran geglaubt, aber vor heute hätte ich auch vieles andere nicht geglaubt.«
Vater sah Adam und Evie prüfend an. Dann hielt er dem Jungen den Zweig hin.
»Wenn die Äpfel wachsen, werdet ihr beide Hände voll zu tun haben. Wir müssen pflücken. Wir werden Apfelmost und Apfelkuchen machen, und dann kannst du deinen Eltern die ersten Frühäpfel mitbringen. Könnt ihr euch das vorstellen?«
Evies Augen füllten sich mit Tränen. Sie betrachtete Vaters kräftige, ruhige Hände, die den Zweig wie ein kostbares Geschenk hielten.
Adam nahm ihn fest in die Hand. »Alex hat Äpfel geliebt«, sagte er feierlich. »Sie waren sein Lieblingsessen.«
Das Gelächter brach genauso heftig aus Evie heraus, wie der gefangene Wind aus dem steinernen Kästchen entwichen war.
»Ja, so wie Plätzchenteig und Tacos und Hühnchen und Pizza …«
Adam lachte mit, doch Evie entging nicht, wie fest er den Zweig umklammerte – so wie man einen geheimen Schatz festhält.
Schließlich schob Vater die beiden weiter. »Wir haben später noch genug Zeit, uns um die Äpfel zu kümmern«, sagte er. »Aber jetzt müssen wir erst mal diesen jungen Mann hier zu seinen Eltern zurückbringen.«
»Glauben Sie, meine Eltern sind sauer auf mich?«, fragte Adam.
Vater schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein«, sagte er und sah dabei Evie fest an. »Ich garantiere dir, dass sie kein bisschen sauer sind – im Gegenteil.«
Evie nahm Vaters warme Hand in die ihre.
»Ich freue mich auf zu Hause«, sagte sie.
Und das meinte sie auch so.
Ein Geschenk zum Abschied
Alle Aufregung war vorbei und es war ruhig im Haus. Adams Eltern hatten ihren Sohn nach einem tränenreichen Wiedersehen mitgenommen, und Evie dachte, dass jedes Ende etwas Trauriges an sich hatte, selbst wenn es ein gutes Ende war. Als sie Adam zum Abschied von der Veranda aus nachgewunken hatte, war ihr Herz schwer, doch Vater sagte: »Du wirst Adam schon sehr bald wiedersehen.« Evie nickte.
Sie gingen ins Haus und setzten sich vor den Kamin, wo sie gegrillte Käsesandwiches aßen und heiße Schokolade tranken. Maggie hatte sogar warmen Karamellpudding gekocht, doch Evie stocherte nur mit dem Löffel darin herum.
»Was ist denn los, Liebes?«, fragte Maggie freundlich.
Evie sah auf. »Ach … nichts«, sagte sie.
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