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Evil - Das Böse

Evil - Das Böse

Titel: Evil - Das Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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gezielt hatte und also schrecklich nüchtern war. Der zweite Schlag traf fast dieselbe Stelle, und als ihm aufging, dass die Peitsche Zentimeter um Zentimeter aufwärts wandern würde, verschwanden die züngelnden blauen Flammen und er schrie.
    Er dachte nicht länger, er schrie bei jedem Schlag. Jeder Schlag schien einen elektrischen Stoß von Schläfe zu Schläfe durch seinen Kopf zu jagen. Als er mit dem Kreuz fertig war, wandte der Vater sich der linken Hinterbacke zu. Erik wand sich jetzt unter den Schlägen, die nicht mehr mit gezielter Präzision trafen. Er versuchte sich mit den Händen zu beschützen, aber nun zielte der Vater auf sein Gesicht, und als er die Hände davorschlug, zielte der Vater auf seinen Körper.
    Das Weinen war rot und erniedrigend. Es war das genaue Gegenteil des blauen Feuers. Das Weinen war flammend wild, es beherrschte das Bewusstsein und machte den Schmerz so viel schlimmer, dass das Bewusstsein irgendwann aufgab; es war der unkontrollierte Versuch des Unterbewusstseins zur Linderung. Aber er weinte auch, weil er weinte; weil er diesem alten Scheißkerl mit seiner blutigen, zischenden Hundepeitsche nicht widerstehen konnte.
    Irgendwie hörte es dann auf. Mitten im Schmerz schien es, als wolle der Schmerz kein Ende nehmen, als könne es niemals irgendeine Linderung geben, es war so, wie man sich die Hölle vorstellt. Aber auf irgendeine Weise nahm es dann doch ein Ende.
    Zuerst nahm er die Stille wahr. Denn als seine Lunge ein letztes Mal schluchzend zuckte und er plötzlich wieder ruhig durchatmen konnte, war es still. Im Kreuz, in den Hinterbacken und an der Rückseite der Oberschenkel glühte alles. Er wusste, dass er absolut zerschunden war. Die Peitsche traf hart genug, um bei jedem Schlag einen roten Striemen zu hinterlassen. Die Haut schwoll über einem roten Blutstreifen an. Wenn sie nicht platzte, dann verschwand das Blut wieder im Körper und hinterließ einen blaugrünen Rand, der noch wochenlang zu sehen sein würde.
    In der Stille betastete seine Hand Rücken und Hinterteil. Die Hand wurde feucht und klebrig. Das kam vom Blut an den Stellen, wo der Metallhaken die Haut aufgerissen hatte. Dabei entstanden Wunden mit länglichen, dauerhaften Krusten, Krusten, die groß und rau waren, die pochten und die immer wieder aufplatzten, wenn man sich zu heftig bewegte.
    Nachher glaubte er sich zu erinnern, aber sicher war er sich da nicht, dass seine Mutter mit einer Schüssel lauwarmem Wasser und einem Leinenlappen hereingekommen war. Sie sagte nichts, vielleicht konnte er sich aber auch nicht daran erinnern. Möglicherweise hatte sie geweint, möglicherweise hatte er das Salz ihrer Tränen in einer seiner offenen Wunden gespürt. Aber das konnte auch ein Traum sein, der dem einsetzenden Fieber entsprang. Er glaubte, aus der Ferne schöne Klaviermusik zu hören.
    Er war vierzehn Jahre alt und prügelte sich nur noch selten. Das hatte zwei Gründe. Zum einen war er der Chef der Clique und durfte sich folglich nicht wegen irgendwelcher Lappalien prügeln. Wenn jemand in der Parallelklasse seine Schulden bei der Clique nicht bezahlen wollte, brauchte er nur eine leichte Tracht Prügel, keine schlimme. Da empfahl es sich, Göran oder Leuchtturm oder einen anderen aus der Clique zu schicken. Wenn er selbst eingriff, musste schon ein wichtiger Grund vorliegen. Dass jemand auch nach der zweiten Mahnung noch nicht bezahlt hatte, zum Beispiel. Dann musste er über den Schulhof gehen, die Clique einige Schritte hinter sich, bis der säumige Schuldner zu spät begriff, was sich da zusammenbraute, und die Flucht ergreifen wollte, was sich jedoch als unmöglich erwies. Die Clique wartete nämlich nur auf den passenden Moment, um mit einer diagonalen Linie über den Schulhof den Weg zu beiden Ausgängen abzuschneiden. Danach folgte ein Katz-und-Maus-Spiel, bis der Schuldige in die Ecke zwischen zwei hohen Mauern gedrängt worden war, aus der er nicht mehr entkommen konnte.
    Er empfand in solchen Situationen keine Freude und keinen Triumph mehr. Eigentlich taten ihm die Opfer, die verprügelt werden mussten, eher Leid. Das war der andere Grund, weshalb er sich immer weniger prügelte und den er der Clique verschwieg.
    Aber, und das war ja nun nicht schwer zu begreifen, wenn erst einer seine Schulden nicht bezahlen musste, dann würden auch andere ihr Glück versuchen, und wenn das viele gleichzeitig probierten, würde das ganze System einstürzen wie ein Kartenhaus, dann würde die Clique keinen

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