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Evil - Das Böse

Evil - Das Böse

Titel: Evil - Das Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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dann losgelassen hatte, aus purer Freude daran, ihnen beim Töten zusehen zu können. Wenn er das erzählte, würden sich die Schläge mit der Begründung, er habe gelogen, verdoppeln. Danach würde er zugeben müssen, dass er gelogen habe, und das erzwungene Geständnis würde weitere Schläge nach sich ziehen. Am Ende würde er dafür um Entschuldigung bitten müssen, dass er gelogen hatte, und versprechen, es nie wieder zu tun. Also konnte er auch gleich alles zugeben. Er habe die Hunde gestreichelt, das tat er jeden Tag, und danach habe er eben vergessen, sie wieder anzubinden; wenn er das alles zugab und seinem Vater dabei offen in die Augen blickte, dann stand er wie ein Mann für seine Taten ein und bat in der richtigen Weise um Vergebung. Freilich hatte die Geschichte Geld gekostet, also mussten Prügel sein, und zwar unter ein wenig feierlicheren Bedingungen als die routinemäßigen Nachtischprügel. Es kam zum Birkenrutenritual.
    Das Birkenrutenritual konnte sich ziemlich lange hinziehen. Es lief darauf hinaus, dass Erik selbst hinausgehen und die passende Rute zurechtschneiden musste. Aber die, mit der er dann zurückkehrte, hatte immer irgendeinen Mangel. Entweder war sie zu groß und damit unbrauchbar wegen des zu großen Luftwiderstands und der zu großen Treffoberfläche. Oder sie war zu klein, wog zu wenig in der Hand und taugte dadurch nicht für ordentliche Treffer. Es war auch möglich, dass der Schaft zu kurz war, was dem Schlag nicht den nötigen Schwung verschaffte. Oder sie war zu lang und damit lag der Schwerpunkt falsch. Selbst als er mit der Zeit gelernt hatte, ein wirklich perfektes Schlaginstrument zu finden, wurde das Ritual doch immer genauso oft wiederholt, wie der Vater es vorher beschlossen hatte. Das Erstgebot lag bei zwanzig Schlägen. Schon dadurch war die Voraussetzung für etliche Erhöhungen gegeben, denn zwanzig Schläge waren natürlich zu wenig nach einem derart schwer wiegenden Vergehen, das zum Tod eines fremden Ausstellungshundes geführt hatte. Er tippte darauf, dass er dreimal neue Ruten würde holen müssen und am Ende vierzig Schläge dabei herausschauten.
    Doch dieses eine Mal, als der Vater Romulus und Remus auf den armen Collie gehetzt hatte, der aussah wie Lassie und in drei oder vier Teile gerissen wurde, endete das Birkenrutenritual erst bei fünfundsiebzig Schlägen.
    Erik wusste, dass die Haut das nicht aushalten konnte, ohne zu platzen. Es würde blutig enden. Der Vater begriff vielleicht nicht einmal selbst, wie blutig es enden würde.
    Um sich gegen Schläge zu wappnen, die irgendwann nach dem fünfzigsten unweigerlich blutig wurden, musste man es irgendwie schaffen, schon vorher ungeheuer viel blauen Hass in sich zu schüren. Das wusste Erik.
    Sie gingen ins Kinderzimmer. Der Vater nahm den kleinen Bruder an der Hand, führte ihn hinaus und schloss dann vorsichtig die Tür. Dann trat er vor, setzte sich auf die Bettkante und schlug mit der Rute durch die Luft, wie um sie zu testen. Als hätte er das nicht schon bis zum Gehtnichtmehr getan.
    »Hosen runter«, sagte der Vater tonlos.
    »Ich hab gesehen, dass du das warst, Vater. Ich hab oben in der Eiche bei den Schaukeln gesessen und genau gesehen, wie du zu Romulus und Remus gegangen bist. Du hast dich umgeschaut. Dann hast du erst Romulus und dann Remus losgelassen, und du hast gelacht, als du sie auf den Collie gehetzt hast.«
    Der Vater starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Erik stand da und schaute in diese weit aufgerissenen Augen und beschloss, nicht mit der Wimper zu zucken und nicht einmal nach einer Ohrfeige den Blick zu senken. Er konzentrierte sich auf den notwendigen blauen Hass.
    Es dauerte eine Ewigkeit.
    Dann erhob der Vater sich langsam und ging zur Tür. Er öffnete sie und nahm den Schlüssel, der auf der anderen Seite im Schloss gesteckt hatte. Dann schloss er die Tür zweimal ab. Und kam, noch immer ganz langsam, zurück zum Bett.
    »Hose runter«, sagte der Vater mit zusammengebissenen Zähnen.
    An die darauf folgenden Prügel konnte er sich fast nicht erinnern. Nur dass er zu träumen schien, dass die Mutter am Ende, auf halbem Weg in den blauen Traum, draußen stand und gegen die Tür schlug und weinte. Aber sicher wusste er das nicht.
    In der folgenden Woche durfte er nicht in die Schule gehen.
    »Grippe«, schrieb der Vater als Entschuldigung an den Klassenlehrer. Und noch lange später, im Frühling, wenn scharfes Licht ins Zimmer fiel, sah Erik auf den weißen Tapeten mit

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