Evil - Das Böse
den Segelbooten und den Pferden und den spielenden Hunden braune Spritzer, bis hinauf zur Decke.
Am 6. November war das Wetter perfekt wie im Film. Dichter Nebel lag über dem Schulhof, als die Knaben hinter der Flaggenburg marschierten. Die Schulkapelle spielte einen Marsch mit dominierenden Trommeln. Der Käptn brüllte den verschiedenen Formationen Befehle zu, und jede Klasse trat, geleitet von ihrem Gruppenchef, in vier Abteilungen an. Dann sangen die Knaben »Ein’ feste Burg ist unser Gott« und marschierten zu Trommelschall in die Schule und in die Aula, um der Rede des Rektors über das Böse in der Welt zu lauschen.
Russland war in Ungarn eingefallen und der Kommunismus bedrohte die Freiheit. Der Rektor erzählte von dem großen Weltkrieg, in dem er als Kriegsberichterstatter gearbeitet hatte. Es wurde nicht richtig klar, was so ein Kriegsberichterstatter eigentlich machte, aber den Schilderungen des Rektors zufolge war dessen Einsatz für den Ausgang des Zweiten Weltkrieges von großer Bedeutung gewesen. Nun drohte der Mahlstrom des Bösen abermals, unser Land und unser Volk in einen Krieg zu ziehen. Doch wir besaßen stolze Traditionen, an die uns unter anderem dieser Tag gemahnen sollte. Gustav Adolf II. hatte, obwohl er als unterlegen gegolten hatte, die Russen besiegt und die Ostsee zu seinem großen schwedischen Binnenmeer gemacht. Entscheidend waren dabei unsere Disziplin, unser schlichter Lebensstil und die guten Eigenschaften unserer Rasse gewesen. Wir Knaben waren Schwedens Zukunft, denn wir sollten Schweden verteidigen. Auch wenn es nicht zu einem Krieg mit offener militärischer Konfrontation käme, so würde uns doch ein anderer Krieg durch unser Leben begleiten, und in diesem Krieg würde unser Einsatz auf dem Weg zu persönlichem Erfolg das Land stärker und widerstandsfähiger machen. Das sei der eigentliche Kern der Demokratie, den es zu verteidigen gelte. Unser gegenwärtiges Schlachtfeld sei das der grundlegenden Ausbildung. Darauf folge eine nationale Kraftanstrengung, die uns zu Verwaltungschefs, Technikern, Erfindern, Offizieren, Firmenleitern und anderen nützlichen Gliedern der Gesellschaft machen würde, nur so vermöge unser Land dem barbarischen Angreifer technisch und moralisch überlegen zu bleiben. Bald würde auch Schweden über Kernwaffen verfügen und damit im Angriffsfall Leningrad zerstören können. Denkt daran, und jetzt zurück marsch, marsch ins Klassenzimmer, um den Verteidigungskampf gegen das Böse fortzusetzen.
In der nächsten Stunde freilich hatte Eriks Klasse Musik und der Musiklehrer gehörte zur schlechten Sorte von Lehrern. Erik teilte die Lehrer nach einem sehr einfachen Schema in gute und schlechte ein. Die, die schlugen und herumschrien, waren schlecht, die, die nicht schlugen, waren gut. Gegen die Schlechten wehrte man sich. Den Guten gehorchte man. Und die Klasse gehorchte Erik.
Der Musiklehrer hatte einen schütteren Ziegenbart und lange Haare, die ihm oft in die Stirn fielen, wenn er, den Zeigestock oder das Lineal hoch erhoben, durch die Bankreihen rannte, um auf jemanden einzuschlagen.
Noch im Banne der erregten Stimmung dieses Morgens hielt er einen Miniaturvortrag über den Russen als solchen und verlangte noch einmal »Ein’ feste Burg ist unser Gott«.
»Sie meinen, wenn die Russen kommen, sollen wir sie in Grund und Boden singen, Herr Studienrat?«, spottete Erik, was in der Klasse natürlich große Heiterkeit auslöste.
Die Heiterkeit wollte sich nicht legen. Die Knaben verlängerten sie, um eine Abrechnung zu erzwingen, und der Musiklehrer ließ sich provozieren, packte den Zeigestock und stürzte auf Erik los.
Erik sprang auf und fing den Blick des Mannes ein. Der Mann hob den Zeigestock, zögerte dann aber, weil Erik regungslos stehen blieb und offenbar nicht vorhatte, sich gegen den bevorstehenden Schlag zu schützen. Erik wartete einige Sekunden, während der Mann sich dem Höhepunkt des Zögerns näherte, dem Moment, in dem er eigentlich hätte schlagen müssen.
»Wenn du mich schlägst, dann wirst du das für den Rest des Schuljahrs in jeder Stunde bereuen«, sagte Erik. Der Mann ließ überrascht den Zeigestock um einige Zentimeter sinken. Erik hob vorsichtig die linke Hand, damit er den Schlag abfangen konnte, ehe der Stock sein Gesicht erreichte.
»Willst du mir drohen?«, keuchte der Mann mit dem Ziegenbart.
»Du schlägst gern und das wirst du büßen«, sagte Erik und hob rasch die linke Hand, gerade weit genug, um den
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