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Evil - Das Böse

Evil - Das Böse

Titel: Evil - Das Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Zeigestock zehn Zentimeter vor seinem Gesicht abzufangen. Er packte den Stock und hielt ihn fest, während er abermals den Blick des Mannes einfing.
    »Du glaubst, du könntest deinen Willen durchsetzen, wenn du mit Zeigestöcken und Linealen schlägst«, sagte Erik - noch immer duzte er den Mann -, »aber du wirst schon sehen, wie unmöglich es manchmal ist zu schlagen. Du siehst eigentlich aus wie eine Ziege. Du wirst Schraube genannt, aber von jetzt an heißt du Ziege.«
    Er ließ den Zeigestock los und setzte sich. Dann begann er rhythmisch in die Hände zu klatschen und im selben Takt »Scheißziege, Scheißziege« zu skandieren; er nickte Leuchtturm und Göran zu, die darauf ebenfalls loslegten. Der Mann stand hilflos da, während der Chor immer lauter wurde. Am Ende schrie die ganze Klasse im Takt von Eriks Händeklatschen. Ziege, wir er von nun an hieß, stürzte aus dem Raum.
    Die Folgen waren unvermeidlich. Nach der Frühstückspause wurde Erik zum Rektor beordert. Ein Verhör beim Rektor war gefürchtet, was nicht nur am Ernst der Sache mit allen möglichen unangenehmen Konsequenzen lag, sondern auch daran, dass unter dem Schreibtisch des Rektors ein knurrender alter Schäferhund kauerte.
    Erik bereitete sich auf das Verhör vor, indem er seine spitzen blauen Wildlederschuhe gegen runde Dixieschuhe mit Rohgummisohlen austauschte, die dem dicken Johan gehörten. Er kämmte seine Schmalztolle zu einer eher knabenhaften Frisur mit Mittelscheitel und ließ seine rote Seidenjacke auf dem Gang hängen. Das war der physische Teil der Vorbereitungen auf die Konfrontation mit der Obrigkeit. Die nächste Vorbereitung bestand darin, dass er seine Sprache änderte. Erik konnte problemlos die gebildete Mittelklassesprache der Erwachsenen nachahmen. Das machte immer Eindruck. Die Erwachsenen glaubten, entweder sich selbst oder die Obrigkeit in dieser Sprache wieder zu finden. Sie hielten sie für ein sicheres Zeichen für Unschuld, gute Erziehung und Heimatrecht in der höheren Schulbildung; diese Sprache konnte deshalb auch als Schutz vor dem Schulverweis dienen. Es gab nichts Furchterregenderes als einen Schulverweis. Denn dann war man von Bildung ausgeschlossen und musste sich eine normale Arbeit suchen, statt in Zukunft einmal etwas Feines zu werden.
    Der Rektor saß hinter seinem Schreibtisch, unter dem Schreibtisch knurrte der Schäferhund und hinter dem Rücken des Rektors stand Ziege. Erik begrüßte den Rektor mit lauter Stimme und Ziege mit einer knappen Verbeugung, dann trat er breitbeinig und mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor den Schreibtisch des Rektors. Eine solche Körperhaltung, fand Erik, war ein psychisches Problem für einen zum Schlagen bereiten Erwachsenen. Es ist zum Beispiel schwer, jemandem, der mit den Händen auf dem Rücken dasteht und sich nicht wehrt, eine Ohrfeige zu verpassen.
    »Du weißt, welche Konsequenzen dein Verhalten für dein Zeugnis haben wird?«, fragte der Rektor als Erstes.
    »Ja, Herr Rektor«, antwortete Erik, »ich bin mir absolut darüber im Klaren, dass meine Kopfnoten wegen des heutigen Zwischenfalls gesenkt werden sollten.«
    »Ach, und welchen Schluss wirst du daraus ziehen?«
    »Wenn man sich einem Lehrer gegenüber schlecht benimmt, was ich zweifellos getan habe, dann wird man unweigerlich allerlei Repressalien ausgesetzt, zum Beispiel einer schlechteren Note in Betragen oder Ordnung. Andererseits kann es gelegentlich zu Situationen kommen, in denen man in eine Konfrontation hineingerät, ohne dass man recht eigentlich eine andere Wahl hat.«
    »Wie alt bist du, Erik?«
    »Ich bin vierzehn. Vierzehneinhalb.«
    Der Rektor schwieg, schaute auf die Schreibtischplatte und rieb sich mit einer Hand über seine Geheimratsecken. Erik konnte nicht erraten, was er empfand oder dachte.
    »So, so«, sagte der Rektor nach einer Weile. »Nun denn, als Erstes wirst du nun Studienrat Torsson um Verzeihung bitten. Denn ich nehme doch an, dass du einen Lehrer respektierst?«
    »Nein, Herr Rektor, das tue ich nicht.«
    Der Rektor schaute auf. Seine Gesichtsfarbe änderte sich und die Adern an seinen Schläfen schienen anzuschwellen. Aber seine Stimme klang noch immer beherrscht, als er sagte: »Entweder nimmst du zurück, was du eben gesagt hast, oder du erklärst dich ausführlich, und Gott gnade dir, wenn du keine gute Erklärung hast.«
    »Ich möchte mich lieber erklären. Zu sagen, dass man ›einen Lehrer‹ respektiert, hat meines Erachtens keinen Sinn, denn

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