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Evil - Das Böse

Evil - Das Böse

Titel: Evil - Das Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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›Lehrer‹ ist nur ein Titel. Die Frage ist, ob man den Menschen hinter dem Titel respektieren kann, und in diesem Fall kann ich das nicht. Studienrat Torsson glaubt, uns Schülern Kenntnisse über Musik vermitteln zu können, indem er uns mit Zeigestöcken und Linealen schlägt. Wenn er mich um Entschuldigung bittet, bitte ich ihn auch um Entschuldigung, sonst nicht.«
    Der Wutausbruch des Rektors war prachtvoll wie eine Naturkatastrophe. Erik verstand nicht viel vom Inhalt des Gebrülls, außer dass er als vierzehnjähriger Schulknabe nicht einmal fähig sei, das Geld für eine Tüte Bonbons zu verdienen, weshalb er auch nicht das Recht habe, über Respekt oder Nicht-Respekt zu reden, der Rest kam ihm wie ein einziger brausender Sturm vor.
    Mitten in diesem Sturm drehte der Rektor sich zu Ziege um und sagte etwas, und Ziege schlich verlegen zur Hintertür hinaus, während der Sturm weitertobte. Eriks Konzentration reichte nicht aus, um den tatsächlichen Inhalt dieser Schmähreden zu erfassen, da es ihn alle Mühe kostete, still zu stehen, ohne zu schwanken, die Augen offen und den Blick des Rektors festzuhalten und bei alldem nicht in nervöses Gekicher auszubrechen. Endlich ebbte der Sturm ab und der Rektor setzte sich wieder (während des Crescendos war er im Zimmer hin und her gelaufen).
    »Also«, sagte der Rektor und rieb sich die Stirn. »Das wird in der Tat die Kopfnoten senken. Und ich möchte dich ausdrücklich warnen, mir ja nicht noch einmal mit einem solchen Zwischenfall zu kommen, ist das klar?«
    »Ja, Herr Rektor, das ist klar.«
    »Dann kannst du jetzt gehen, du Lümmel.«
    »Danke und auf Wiedersehen, Herr Rektor.«
    Als Erik die Hand nach der Klinke ausstreckte, überlegte der Rektor sich die Sache noch einmal anders.
    »Ach, noch etwas, Erik, jetzt, wo wir diese Sache hinter uns gebracht haben. Du hast auch gute Eigenschaften. Du hast die Gabe der Sprache und du hast Mut. Nutze diese guten Eigenschaften und stell nichts mehr an. So, jetzt kannst du gehen.«
    Der Rektor hatte mit tödlicher Sicherheit alles missverstanden. »Die Gabe der Sprache« war keine Gabe, sondern einfach eine Möglichkeit, sich zu verteidigen, eine von vielen. Und Mut gehörte möglicherweise dazu, fünfundzwanzig Meter hoch über das Schuldach zu balancieren. Mutig wäre in den Augen des Rektors auch eine weiße Tanzmaus, die von einer Katze in der Zimmerecke gestellt wurde. Wer mit Eriks Vater lebte, musste lernen, denselben Mut aufzubringen wie so eine Tanzmaus.
    Die Frage, wie es sich mit dem Respekt vor Lehrern verhielt, war da schon leichter zu klären. Ziege schlug und erlebte in seinen Stunden die Hölle. Der Mathematik-und Physiklehrer Barsch schlug, und Erik verwandelte seine Stunden in Chaos, bis Barsch auf die radikale Lösung verfiel, zu Beginn jeder Stunde zu sagen: »Guten Tag, Knaben, setzt euch, und Erik, geh auf den Gang!« Mit Torte war alles anders. Geschichtslehrer Torte war ein temperamentvoller pensionierter Universitätsdozent, der seine Stunden in Schlachten und Abenteuer verwandelte. Er konnte mit dem Zeigestock als Schwert (als »römisches Kurzschwert«, nachdem er ihn kurz entschlossen über den Knien zerbrochen hatte) und dem Lineal als Schild aufs Pult springen, um vorzuführen, wie die makedonische Phalanx zum Angriff übergegangen war, als Alexander der Große die Welt eroberte. Torte wäre nie auf den Gedanken gekommen, einen Knaben zu bestrafen oder gar zu schlagen. Und der Knabe, der auf die bizarre Idee verfiel, bei Torte eine Stunde zu stören, konnte sich in der nächsten Pause auf Klassenkeile gefasst machen.
    Oder die Englischlehrerin Anna, die von ihrem Aussehen her bei fünfunddreißig Knaben eigentlich chancenlos gewesen wäre. Eine kleine ältere Dame mit Handtasche und Mundschutz an den Tagen, an denen sie sich für eine Bazillenträgerin hielt, kleiner als die meisten Knaben, aber mit einem beängstigenden Blick, falls einem von ihnen auch nur das leiseste störende Flüstern herausrutschte. Dann schimpfte sie lange und verbreitete sich energisch über die Achtung vor Wissen und Arbeit, und ihr Ernst war so tief und ohne jeden Zweifel so echt, dass man ihr nur mit Respekt begegnen konnte.
    Oder der Biologie-und Geografielehrer Ringer-Ivar (der in seiner Jugend wirklich gerungen hatte), der niemals seine Hand gegen einen Knaben erhob. Also verliefen seine Stunden ganz anders als die der Schwedischlehrerin, die sie »Hintern« nannten und die losstürzte und den Delinquenten

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