Evil
Zimmer ging auf und Meg trat heraus. Zuerst kam sie mir ein bisschen vorsichtig vor, wahrscheinlich weil Ruth geschrien hatte. Dann fiel ihr Blick auf mich, und sie lächelte.
So hatten sie es also gemacht. Meg und Susan waren in Ruths Zimmer. Das war logisch, weil es das kleinere von den beiden war. Aber das bedeutete auch, dass Ruth entweder auf dem Klappsofa oder bei Donny, Woofer und Willie junior kampierte. Ich überlegte, was wohl meine Eltern dazu sagen würden.
»Meggie, ich geh mit den Jungs auf ein Softeis rüber zum Jahrmarkt. Du passt inzwischen auf deine Schwester auf. Und geh mir nicht an den Kühlschrank, du sollst bei uns schließlich kein Fett ansetzen.«
»Ja, Tante.«
Ruth wandte sich an mich. »David, weißt du, was du jetzt machst? Du gehst schnell mal rein zu Susan und sagst hallo zu ihr. Ihr kennt euch noch gar nicht, das ist doch unhöflich.«
»Klar, okay.«
Meg ging voraus in den Flur.
Die Tür war links gegenüber dem Bad, das Zimmer der Jungen lag direkt geradeaus. Hinter der Tür war leise Musik aus dem Radio zu hören. Tommy Edwards mit seinem Song »It's All in the Game«. Meg öffnete, und wir traten ein.
Wenn man zwölf ist, sind kleine Kinder kleine Kinder und sonst nicht viel. Man bemerkt sie gar nicht. Sie sind wie Käfer, Vögel oder Eichhörnchen oder wie eine streunende Hauskatze – Teil der Landschaft, aber völlig unwichtig. Außer es ist jemand wie Woofer, den man einfach nicht übersehen kann.
Susan wäre mir allerdings aufgefallen.
Ich wusste, dass das Mädchen, das von ihren Screen Stories aufblickte, neun Jahre alt war – das hatte mir Meg erzählt –, doch sie sah viel jünger aus. Ich war froh, dass sie die Bettdecke hochgezogen hatte und dass ich die Schienen an ihren Hüften und Beinen nicht sehen konnte. Auch ohne die vielen gebrochenen Knochen kam sie mir ziemlich zerbrechlich vor. Ich bemerkte ihre Handgelenke und die langen, dünnen Finger, die die Zeitschrift hielten.
Wurde man so, wenn man einen Unfall hatte?
Abgesehen von den leuchtend grünen Augen war es fast, als hätte ich Megs Gegenteil vor mir. Meg war Gesundheit, Kraft und Lebendigkeit, Susan war ein Schatten. Ihre Haut unter der Leselampe war so blass, dass sie fast durchscheinend wirkte.
Donny hatte erzählt, dass sie immer noch jeden Tag Tabletten nahm, Antibiotika gegen das Fieber, und dass ihre Verletzungen nicht richtig verheilt waren, dass ihr das Gehen immer noch wehtat.
Ich dachte an das Märchen von Hans Christian Andersen über die kleine Seejungfrau, der auch die Beine wehtun. Sogar das Bild in meinem Buch sah aus wie Susan. Das gleiche seidige blonde Haar und das weiche, zarte Gesicht, der gleiche unendlich verletzliche Blick. Wie eine Schiffbrüchige.
»Du bist David«, sagte sie.
Ich nickte und sagte hallo.
Die grünen Augen musterten mich. Es waren wache Augen. Und warm. Auf einmal kam sie mir zugleich jünger und älter vor als neun.
»Meg sagt, du bist nett.«
Ich lächelte.
Eine Weile schaute sie mich an und lächelte zurück. Dann wandte sie sich wieder ihrer Zeitschrift zu. Im Radio brachte Alan Freed »Little Star« von den Elegants.
Meg beobachtete uns von der Tür aus. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
So ging ich wieder zurück ins Wohnzimmer, wo die anderen schon warteten.
Ruths Augen lagen auf mir. Ich senkte den Blick auf den Teppich.
»Na also«, meinte sie. »Jetzt kennt ihr euch wenigstens.«
TEIL ZWEI
8
Zwei Tage nach dem Karnival übernachteten ein paar von uns im Freien.
Die älteren Jungs in der Straße – Lou Morino, Glen Knott und Harry Gray – kampierten schon seit Jahren in warmen Sommernächten beim alten Wasserturm im Wald hinter dem Little-League-Baseballfeld und vergnügten sich mit mehreren Sixpacks und gestohlenen Zigaretten aus Murphys Laden.
Dafür waren wir alle noch zu jung, da der Wasserturm am entgegengesetzten Ende der Stadt stand. Doch das hielt uns nicht davon ab, sie häufig und vor allem lautstark zu beneiden, bis sich unsere Eltern damit einverstanden erklärten, dass auch wir draußen schliefen, solange das Ganze unter Aufsicht stattfand – was heißen sollte, bei einem von uns im Garten. Und das machten wir dann.
Ich hatte ein Zelt, und Tony Morino hatte das von seinem Bruder Lou, wenn der es nicht gerade brauchte. Also waren wir immer in meinem Garten oder in seinem.
Mir persönlich war meiner lieber. Auch Tonys Garten war okay – aber wir wollten
Weitere Kostenlose Bücher