Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evil

Evil

Titel: Evil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
Vom Netzwerk:
schon fast eine erwachsene Frau war.
    Und dann kam wieder die Schwierigkeit, was ich sagen sollte, während sich die anderen Wagen füllten und wir hinauffuhren. Ich hielt einfach die Klappe. Ihr war das wohl ganz recht. Anscheinend fühlte sie sich gar nicht unbehaglich. Sie war einfach nur entspannt und froh, von oben auf die Leute, den Jahrmarkt mit seinen vielen Lichtern und auf unsere Häuser hinter den Bäumen hinunterschauen zu können. Sanft wiegte sie den Wagen und summte lächelnd ein Lied, das ich nicht kannte.
    Dann begann sich das Rad zu drehen, und sie lachte. Für mich war es das süßeste, glücklichste Lachen, das ich je gehört hatte, und ich war stolz darauf, dass ich ihr mit meiner Einladung eine solche Freude gemacht hatte.
    Wie schon gesagt, es war ein schnelles Rad, und oben an der Spitze wurde es sehr still. Der ganz Jahrmarktslärm war wie mit Watte zugedeckt, dann sauste man wieder mitten hinein und wieder heraus, bis der Krach ganz zurückgeblieben war, und oben schwebte man fast schwerelos im kühlen Wind, und man hätte sich am liebsten festgehalten an der Querstange, aus Angst davonzufliegen.
    Ich schaute ihre Hände auf der Stange an, und da entdeckte ich den Ring. Er sah dünn und blass aus im Mondlicht. Er funkelte.
    Ich tat, als würde ich die Aussicht genießen, aber eigentlich freute ich mich über ihr Lächeln und die Aufregung in ihren Augen und die Art, wie ihre Bluse im Wind flatterte und an ihre Brüste gedrückt wurde.
    Dann drehte sich das Rad noch schneller, das berauschende Gleiten durch die Luft erreichte seinen Höhepunkt, und mir stockte der Atem, als ihr wunderschönes, offenes Gesicht erst durch die Sterne raste, dann vorbei am dunklen Schulhaus und dann an den hellbraunen Zelten der Kiwanier, als ihr Haar nach hinten wehte und dann nach vorn über ihre Wangen peitschte, und plötzlich fühlte ich die zwei oder drei Jahre, die sie mir voraus hatte, als grausame Ironie des Schicksals, wie einen Fluch, und dachte einen Moment, dass es nicht fair war. Das kann ich ihr geben, aber das ist auch schon alles, und das ist nicht fair.
    Das Gefühl verging wieder. Als die eigentliche Fahrt vorbei war und wir weit oben warteten, erfüllte mich nur noch die Freude darüber, wie glücklich sie aussah. Und wie lebendig.
    Jetzt konnte ich auch reden.
    »Hat es dir gefallen?«
    »Und wie! Mein Gott, David, du zeigst mir immer so schöne Sachen.«
    »Dass du noch nie mit so was gefahren bist, unglaublich!«
    »Meine Eltern … eigentlich wollten sie immer irgendwo hingehen mit uns. In den Palisades Park oder so. Aber irgendwie sind wir nie dazu gekommen.«
    »Ich hab davon gehört … alles. Es tut mir Leid.«
    Endlich war es heraus.
    Sie nickte. »Das Schlimmste ist, dass man sie vermisst, verstehst du? Und dass man weiß, sie kommen nicht mehr zurück. Einfach, dass man es weiß. Manchmal vergisst man es, und es ist, als wären sie im Urlaub oder so, und dann denkt man, hey, wann rufen sie endlich mal an? Man vermisst sie. Und man vergisst, dass sie verschwunden sind. Man vergisst, was das letzte halbe Jahr passiert ist. Ist das nicht seltsam? Ist das nicht verrückt? Dann ertappt man sich dabei … und alles ist wieder real. Ich träume viel von ihnen. In meinen Träumen sind sie immer am Leben, und wir sind glücklich.«
    Ich sah, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen.
    Lächelnd schüttelte sie den Kopf. »Bring mich bloß nicht zum Flennen.«
    Wir waren jetzt schon ziemlich weit unten und hatten nur noch fünf oder sechs Wagen vor uns. Ich sah bereits die nächste Gruppe warten. Ich schaute nach unten und mir fiel wieder Megs Ring auf.
    Sie bemerkte meinen Blick. »Der Trauring meiner Mutter. Ruth mag es nicht besonders, dass ich ihn trage, aber meine Mutter wäre dafür gewesen. Ich verliere ihn schon nicht. Auf keinen Fall.«
    »Er ist schön. Wunderschön.«
    Sie lächelte. »Besser als meine Narben?«
    Ich wurde rot, aber das machte nichts, weil sie mich nur ein wenig aufzog. »Viel besser.«
    Das Rad bewegte sich wieder nach unten. Nur noch zwei Wagen vor uns. Die Zeit verging wie im Traum für mich, aber selbst so verging sie zu schnell. Es tat weh, dass die Fahrt schon zu Ende ging.
    »Wie gefällt es dir? Drüben bei den Chandlers, meine ich.«
    Sie zuckte die Achseln. »Es geht schon. Nicht wie daheim natürlich. Nicht so, wie es bei uns war. Ruth ist irgendwie … komisch manchmal. Aber sie meint es bestimmt gut.« Sie zögerte kurz. »Woofer ist ziemlich

Weitere Kostenlose Bücher