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Evil

Evil

Titel: Evil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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Und weißt du, warum? Weil ich genau weiß, was Ruth machen würde, was sie denken würde. Ich weiß, was sie sagen würde. Mit einem einzigen Blick würde sie mir klarmachen, dass ich viel zu dumm für so was bin, dass es reine Zeitverschwendung ist, wenn ich es probiere.«
    Ich schüttelte den Kopf. Das war nicht die Ruth, die ich kannte. Ich konnte mir schon vorstellen, dass sich Willie, Woofer und Donny seltsam benahmen – schließlich war sie ein Mädchen. Aber Ruth war immer nett zu uns gewesen. Im Gegensatz zu anderen Müttern in der Straße hatte sie jede Menge Zeit für uns. Ihre Tür stand immer offen. Sie gab uns Cola, Sandwiches, Kekse und manchmal sogar ein Bier. Das Ganze war mir völlig unverständlich, und das sagte ich Meg auch.
    »Ach komm, Ruth würde so was nie machen. Mal ihr doch eins. Mit deinen Wasserfarben. Das würde ihr bestimmt gefallen. Vielleicht ist es einfach schwierig für sie, weil sie keine Mädchen gewöhnt ist, verstehst du? Vielleicht braucht sie ein bisschen Zeit. Probier es. Mach ihr ein Bild.«
    Sie überlegte.
    »Ich kann nicht. Wirklich.«
    Einen Augenblick standen wir nur so da. Sie zitterte. Auch wenn ich nicht verstand, worum es ging, eins war klar: Es war kein Scherz.
    Ich hatte eine Idee.
    »Wie wär's mit mir? Du könntest doch eins für mich malen.«
    Ohne die Idee, ohne den Plan in meinem Kopf hätte ich mich nie getraut, sie darum zu bitten. Doch so war es ganz was anderes.
    Ihre Miene hellte sich ein wenig auf.
    »Möchtest du wirklich eins?«
    »Klar. Ich würde mich unheimlich freuen.«
    Sie schaute mich unverwandt an, bis ich den Blick senkte. Dann lächelte sie.
    »Okay, David. Ich mach es.«
    Auf einmal schien sie fast wieder so unbekümmert wie früher. Mein Gott, was für ein Lächeln!
    Dann hörte ich die Hintertür.
    »Meg?«
    Es war Ruth.
    »Ich muss gehen.«
    Sie nahm meine Hand und drückte sie. Ich spürte die Steine am Trauring ihrer Mutter. Ich lief rot an.
    »Ich mach es.« Dann war sie um die Ecke verschwunden.
     

12
    Sie musste sich auch gleich an die Arbeit gemacht haben. Am nächsten Tag regnete es vom Morgen bis zum Abend, und ich saß auf meinem Zimmer, las Die Wiedergeburt der Bridey Murphy und hörte Radio, bis ich dachte, dass ich jemanden erwürgen musste, wenn ich noch ein einziges Mal »Volare« von diesem Trottel Domenico Modugno hörte. Nach dem Abendessen saßen ich und meine Mutter im Wohnzimmer und schauten fern, als es an der Tür klopfte.
    Meine Mutter stand auf. Ich folgte ihr und holte mir ein Pepsi aus dem Kühlschrank.
    In einem gelben Regenmantel, das Haar tropfnass, stand Meg auf der Schwelle.
    Sie lächelte. »Ich kann nicht reinkommen.«
    »Unsinn«, sagte meine Mutter.
    »Nein, wirklich. Ich bin nur schnell rübergekommen, um Ihnen das von Mrs. Chandler zu geben.«
    Sie reichte meiner Mutter eine feuchte, braune Tüte mit einer Flasche Milch drin. Ruth und meine Mutter waren nicht gerade eng befreundet, aber sie waren Nachbarn, und manchmal borgte man sich eben was von Nachbarn.
    Meine Mutter nahm die Tüte und nickte. »Sag Mrs. Chandler, dass ich mich sehr bedanke.«
    »Mach ich.«
    Dann griff sie unter den Regenmantel und schaute mich an. Ihr Lächeln wurde zu einem Strahlen.
    »Und das ist für dich.«
    Sie gab mir mein Bild.
    Es war in schweres, fast undurchsichtiges Pauspapier eingeschlagen, das auf beiden Seiten zugeklebt war. Man konnte Striche und Linien erkennen, aber keine genauen Formen.
    Bevor ich ein Danke oder sonst irgendwas herausbringen konnte, hatte sie schon »Bye« gesagt und die Tür hinter sich zugemacht.
    Meine Mutter lächelte jetzt auch. »Was haben wir denn da?«
    »Ein Bild, glaube ich.«
    Mit dem Pepsi in der einen Hand und Megs Päckchen in der anderen stand ich da. Ich wusste, was meine Mutter jetzt dachte.
    Irgendetwas, in dem das Wort süß vorkam.
    »Willst du es nicht aufmachen?«
    »Doch, klar.«
    Ich stellte das Cola ab, wandte ihr den Rücken zu und machte mich daran, das Klebeband abzuziehen. Dann schob ich das Pauspapier zur Seite.
    Ich spürte, dass mir meine Mutter über die Schulter schaute, doch das war mir plötzlich ganz egal.
    »Das ist wirklich gut.« Meine Mutter klang überrascht. »Wirklich sehr gut. Die kann was, findest du nicht?«
    Es war tatsächlich gut. Das erkannte man, auch wenn man kein Kunstkritiker war. Die Zeichnung war mit Tinte gemacht, manche Striche waren breit und stark, andere sehr zart. Die Farben waren blass verwaschen und nur wie hingehaucht, doch

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