Evil
einen saftigen Hamburger. Aber ein Mortadella-Sandwich musste reichen.
Ich ging nach Hause.
Ich wusch mich und machte mir eins.
Drüben im Wohnzimmer war meine Mutter beim Bügeln und summte zu einer Platte mit dem Musical The Music Man mit, für das sie und mein Vater letztes Jahr extra mit dem Bus nach New York gefahren waren, kurz bevor die Kacke am Dampfen war wegen der neuesten Affäre meines Vaters. Mein Vater hatte viele Gelegenheiten zu Affären, die er auch nutzte. Er war Mitbesitzer eines Restaurants mit Bar, das Eagles Nest hieß. Er traf sie spät, und er traf sie früh.
Doch das hatte meine Mutter wahrscheinlich kurz verdrängt und erinnerte sich jetzt an die schönen Zeiten mit Professor Harold Hill und Co.
Ich hasste The Music Man.
Also zog ich mich erst einmal in mein Zimmer zurück und blätterte in meinen zerlesenen Macabre- und Stranger-Than-Science- Heften herum. Aber ich fand nichts, was mich interessierte, und beschloss, wieder rauszugehen.
Ich nahm die Hintertür und sah Meg, die auf der rückwärtigen Veranda der Chandlers die Läufer aus dem Wohnzimmer ausschüttelte. Sie bemerkte mich und winkte mich zu sich.
Einen Moment lang war ich verlegen und fühlte mich hin und her gerissen.
Wenn Meg bei Ruth auf der schwarzen Liste stand, dann wahrscheinlich aus gutem Grund.
Andererseits erinnerte ich mich noch gern an die Fahrt mit dem Riesenrad und an unsere erste Begegnung unten am Felsen.
Sie legte die Läufer sorgfältig über das Eisengeländer und kam mir über die Auffahrt entgegen. Der Fleck auf ihrem Gesicht war verschwunden, doch sie trug noch immer das schmutzige gelbe Hemd und Donnys alte aufgerollte Bermuda-Shorts. Ihr Haar war staubig.
Sie nahm mich am Arm und führte mich stumm hinüber zur Hausmauer, wo man uns vom Esszimmerfenster aus nicht sehen konnte.
»Ich kapier es nicht«, sagte sie.
Man konnte sehen, dass ihr etwas Sorgen machte, etwas, womit sie nicht klarkam.
»Warum mögen sie mich nicht, David?«
Das hatte ich nicht erwartet. »Wer? Die Chandlers?«
»Ja.«
Sie schaute mich einfach an. Es war ihr ernst.
»Klar mögen sie dich.«
»Nein, ich glaube nicht. Ich meine, ich mache alles, was ich kann, damit sie mich mögen. Ich mache mehr als meinen Teil von der Arbeit. Ich rede mit ihnen, ich versuche alles, damit ich sie kennen lerne, damit sie mich kennen lernen, aber anscheinend wollen sie gar nicht. Anscheinend wollen sie mich gar nicht mögen. Anscheinend ist es ihnen lieber so.«
Es war peinlich. Schließlich redete sie über meine Freunde.
»Hör zu«, sagte ich, »kann sein, dass Ruth wütend auf dich war. Warum, weiß ich auch nicht. Vielleicht hatte sie einfach einen schlechten Tag. Aber die anderen waren doch nicht wütend. Willie, Woofer und Donny, keiner von ihnen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das meine ich nicht. Willie, Woofer und Donny sind nie wütend auf mich. Das ist es nicht. Bei ihnen nicht. Es ist einfach, dass sie mich anscheinend gar nicht sehen. Als wäre ich gar nicht da. Als wäre ich Luft für sie. Ich rede mit ihnen, und sie knurren nur und gehen weg. Und wenn sie mich doch bemerken, dann ist irgendwie was dabei, was … nicht richtig ist. Sie schauen mich immer so an. Und Ruth …«
Sie hatte sich in Fahrt geredet und ließ sich nicht mehr aufhalten.
»… Ruth hasst mich! Mich und Susan, beide. Du kriegst das ja nicht mit. Du meinst, das war nur das eine Mal, aber so ist es nicht. Es ist die ganze Zeit so. Manchmal arbeite ich den ganzen Tag für sie, und ich kann es ihr einfach nicht recht machen, nichts passt ihr, nichts ist so, wie sie es machen würde. Sie findet mich bloß dumm, faul, hässlich …«
»Hässlich?« Das zumindest kam mir vollkommen lächerlich vor.
Sie nickte. »Ich hab mich nie für hässlich gehalten, aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. David, du kennst die Chandlers doch praktisch schon seit deiner Geburt, oder?«
»Ja.«
»Dann kannst du mir vielleicht erklären, warum. Was hab ich ihnen denn getan? Wenn ich am Abend ins Bett gehe, denke ich über nichts anderes nach. Susan und ich, wir waren vorher wirklich glücklich. Weißt du, bevor wir hierher gekommen sind, habe ich gemalt. Nichts Besonderes, nur so mit Wasserfarben ab und zu. Ich will gar nicht sagen, dass es was Tolles war. Aber meiner Mutter haben die Bilder immer gefallen. Susan auch und auch meinen Lehrern. Die Farben und die Pinsel habe ich noch immer, aber ich kann mich einfach nicht überwinden, dass ich wieder eins male.
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