Evil
war.
Nur Ruth allein bestimmte, wo es langging.
Das Spiel existierte nicht.
Und so gesehen hing dort an der Wand nicht nur Meg. Wir alle hingen da, nackt und hilflos.
29
Im Bett dann ließ uns Megs Anblick nicht mehr los. Wir konnten nicht schlafen.
Immer wieder lagen wir in völligem Schweigen in der warmen Dunkelheit, und dann sagte wieder jemand etwas. Wie sie ausgesehen hatte, als Willie das letzte Buch weggenommen hatte, wie es sich anfühlen musste, wenn man so lange mit zusammengebundenen Händen über dem Kopf dastehen musste, ob es wehtat, wie es war, endlich den nackten Körper eines Mädchens zu sehen. So redeten wir, und kurz darauf verstummten wir wieder, jeder eingehüllt in das Gespinst seiner eigenen Gedanken und Träume.
Doch diese Träume drehten sich nur um eins. Um Meg. Um Meg, wie wir sie zurückgelassen hatten.
Irgendwann hielten wir es nicht mehr aus. Wir mussten sie noch einmal sehen.
Kaum hatte Donny den Vorschlag gemacht, als wir auch schon die Gefahr dabei erkannten. Ruth hatte uns befohlen, sie in Ruhe zu lassen. Das Haus war klein und hellhörig, und Ruth schlief nur durch eine dünne Tür von uns getrennt in Susans Zimmer – lag Susan ebenfalls wach, so wie wir, und dachte an ihre Schwester? – das direkt über dem Bunker lag. Wenn Ruth aufwachte und uns erwischte, passierte vielleicht das Undenkbare: Wir durften alle nicht mehr dabei sein, wenn es weiterging.
Denn dass es weitergehen würde, wussten wir bereits.
Doch die Bilder in unserer Erinnerung waren einfach zu stark. Fast als bräuchten wir eine Bestätigung, um wirklich von ihrer Wahrheit überzeugt zu sein. Megs Nacktheit und Nähe waren wie ein Sirenengesang. Sie zwangen uns in ihren Bann.
Wir mussten es riskieren.
Es war eine mondlose, schwarze Nacht.
Donny und ich kletterten von den oberen Betten. Willie und Woofer glitten unten heraus.
Ruths Tür war geschlossen.
Auf Zehenspitzen schlichen wir vorbei. Sogar Woofer verkniff sich sein zwanghaftes Kichern.
Willie nahm eine Taschenlampe vom Küchentisch, und Donny zog vorsichtig die Kellertür auf.
Die Treppe knarzte. Dagegen war kein Kraut gewachsen. Wir konnten nur beten und auf unser Glück hoffen.
Auch die Bunkertür quietschte, aber nicht so schlimm. Wir öffneten sie und gingen hinein. Barfuß wie Meg standen wir auf dem Betonboden. Und da war sie, genau wie wir sie in Erinnerung hatten, als wäre gar keine Zeit vergangen, genau wie wir sie uns ausgemalt hatten.
Nicht ganz genau.
Ihre Hände waren weiß und hatten rote und blaue Flecken. Und selbst in dem fahlen, ungleichmäßigen Licht der Taschenlampe war zu erkennen, wie blass ihr Körper war. Sie hatte überall Gänsehaut, die Brustwarzen hatten sich braun zusammengezogen.
Sie hörte uns hereinkommen und gab ein leises Winseln von sich.
»Ruhig«, flüsterte Donny.
Sie gehorchte.
Wir schauten sie an. Es war, als stünden wir vor einer Art Heiligenschrein – oder vor einem exotischen Tier in einem Zoo.
Beides gleichzeitig.
Heute frage ich mich, ob es vielleicht anders gekommen wäre, wenn sie nicht so schön, wenn ihr Körper nicht so jung, gesund und stark gewesen wäre, sondern hässlich, dick und schwabbelig. Möglicherweise nicht. Möglicherweise wäre alles genauso passiert. Die unvermeidliche Bestrafung des Außenseiters.
Trotzdem kommt es mir wahrscheinlicher vor, dass Ruth und wir anderen ihr das angetan haben, gerade weil sie im Gegensatz zu uns so schön und stark war. Um eine Art Urteil über diese Schönheit zu fällen und über das, was sie für uns bedeutete.
»Ich wette, sie hätte gern Wasser«, sagte Woofer.
Sie nickte mit dem Kopf. Ja. O ja, bitte.
»Wenn wir ihr Wasser geben, müssen wir ihr den Knebel rausnehmen«, wandte Willie ein.
»Na und? Sie macht bestimmt keinen Krach.«
Er trat vor.
»Du machst keinen Krach, oder, Meg? Wir dürfen Mom nicht aufwecken.«
Nein. Sie schüttelte den Kopf von einer Seite zur anderen. Es war klar, dass sie das Wasser unbedingt wollte.
»Nimmst du ihr das ab?« Willie schaute Donny an.
Donny zuckte die Achseln. »Wenn sie Krach macht, kriegt sie auch Schwierigkeiten. Sie ist doch nicht blöd. Also, gib ihr was. Warum nicht?«
»Ich hole es.« Woofer ging raus.
Neben der Waschmaschine war ein Ausguss. Woofer drehte den Hahn auf, und wir hörten das Wasser laufen. Für seine Verhältnisse war er ungewöhnlich leise.
Und auch ungewöhnlich nett.
Willie band ihr wieder das Tuch ab, so wie vorhin und zog ihr den
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