Evil
beschämte mich genauso, wie sie mich schon früher beschämt hatte. Aber ich konnte nicht gehen. Die anderen waren da. Außerdem wollte ich nicht. Ich wollte es sehen. Ich musste es einfach sehen. Die Scham schaute dem Verlangen offen ins Gesicht, und dann wandte sie den Blick ab.
»Und Susan?«
»Ja, sie ist auch da«, erwiderte Donny.
»O Gott.«
»Scheiß drauf«, drängte Woofer. »Wen interessiert Susan? Wo bleibt das Geständnis?«
Meg klang auf einmal müde und erwachsen. »Geständnisse sind blöd. Es gibt kein Geständnis.«
Das brachte uns ins Stocken.
»Wir können dich auch wieder raufziehen«, drohte Willie.
»Das weiß ich.«
»Wir können dich auspeitschen«, fügte Woofer hinzu.
Meg schüttelte den Kopf. »Bitte, lasst mich einfach in Ruhe. Lasst mich. Es gibt kein Geständnis.«
Das Dumme war, dass das auch niemand wirklich erwartet hatte.
Einen Moment standen wir nur herum und warteten, dass jemand etwas sagte, etwas, das sie dazu bringen würde, weiter das Spiel zu spielen, so wie man es spielen musste. Oder sie zwingen würde. Oder dass Willie sie wieder nach oben zerrte, wie er es angekündigt hatte. Irgendwas, um die Sache am Laufen zu halten.
Doch in diesen wenigen Augenblicken war irgendetwas verschwunden. Um es wiederzubekommen, hätten wir ganz von vorn beginnen müssen. Ich glaube, das wussten wir alle. Das süße, berauschende Gefühl von Gefahr war wie weggeblasen. Es war verschwunden, sobald sie angefangen hatte zu reden.
Das war der Schlüssel.
Wenn sie redete, war sie wieder Meg. Nicht irgendein schönes, nacktes Opfer, sondern Meg. Ein Mensch mit Verstand, mit einer Stimme, der seine Gedanken aussprechen konnte, und vielleicht auch mit eigenen Rechten.
Ihr den Knebel abzunehmen war ein Fehler.
Wir waren wütend und frustriert. Ratlos standen wir herum.
Schließlich brach Ruth das Schweigen.
»Das können wir doch machen.«
»Was?«, fragte Willie.
»Was sie gesagt hat. Sie in Ruhe lassen. Soll sie ein bisschen über die Sache nachdenken. Das finde ich gut.«
Wir überlegten uns ihren Vorschlag.
Woofer meldete sich als Erster. »Ja. Lassen wir sie in Ruhe. Soll sie allein im Dunkeln hängen.«
Das war eine Möglichkeit, um wieder von vorn zu beginnen.
Willie zuckte die Achseln.
Donny schaute Meg an. Man merkte ihm an, dass er noch nicht gehen wollte. Er verschlang sie praktisch mit den Augen.
Er hob die Hand. Langsam, fast zögernd näherte er sie ihren Brüsten.
Plötzlich hatte ich das Gefühl, ein Teil von ihm zu sein. Als wären es meine Finger, die sie beinah berührten. Ich spürte schon fast die glitschige, feuchte Hitze ihrer Haut.
»Mm-mm«, sagte Ruth. »Nein.«
Donny sah sie an. Dann erstarrte seine Hand. Nur wenige Zentimeter von ihrer Brust entfernt.
Ich holte tief Luft.
»Ihr fasst mir dieses Mädchen nicht an«, erklärte Ruth. »Keiner von euch fasst sie an.«
Er ließ die Hand sinken.
»Eine wie die ist nicht mal sauber. Lasst die Hände von ihr, verstanden?«
Wir hatten verstanden.
»Ja, Ma«, antwortete Donny.
Sie wandte sich zum Gehen. Sie trat ihre Kippe auf dem Boden aus und winkte uns zu. »Kommt jetzt. Aber zuerst steckt ihr ihr besser den Knebel wieder rein.«
Ich beobachtete Donny, der den Lappen auf dem Boden anschaute.
»Er ist dreckig.«
»So dreckig auch wieder nicht. Ich will nicht, dass sie die ganze Nacht rumkreischt. Steck in ihr rein.«
Dann wandte sie sich an Meg.
»Und du kannst über eins nachdenken, Schätzchen. Nein, über zwei Sachen, genau genommen. Erstens könnte statt dir hier deine kleine Schwester hängen. Und zweitens weiß ich ein paar Dinge, die du ausgefressen hast. Und die möchte ich gern von dir hören. Das heißt, diese Sache mit den Geständnissen ist vielleicht doch nicht bloß ein Spiel für kleine Kinder. Und entweder kriege ich was von dir zu hören oder von ihr. Denk darüber nach.« Damit drehte sie sich um und ging.
Wir hörten, wie sie die Treppe hinaufstieg.
Donny knebelte sie wieder.
Dabei hätte er sie anfassen können, aber er machte es nicht.
Als wäre Ruth noch im Raum und würde uns beobachten. Eine Gegenwart, die sehr viel stärker war als der Zigarettenrauch in der Luft, aber genauso körperlos. Als wäre Ruth ein Geist, der uns verfolgte, ihre Söhne und mich. Der uns in alle Ewigkeit verfolgen würde, wenn wir sie drängten oder ihr nicht gehorchten.
Und in diesem Moment wurde mir bewusst, dass die Erlaubnis, die sie erteilt hatte, scharf wie eine Rasierklinge
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