Evolution der Leere: Roman
ihm sagen, dass ich nicht irgendeine Rennfuchshündin bin, die seinen Vater verhext hat. Ich dachte, du könntest ihm klarmachen, dass ich Garnfal geliebt habe.«
Edeard blähte die Wangen und stieß langsam die Luft aus. »Salrana ...«
»Nein, das bin ich nicht! Edeard, was immer du von mir denkst, du musst doch wissen, dass ich hierbei einen freien Willen besitze. Ich habe Garnfal für mich gewollt. Bitte, du musst mir glauben. Durch einen neidischen, arbeitsscheuen Sohn um das beraubt zu werden, was rechtmäßig mein ist, kann doch nicht die Gerechtigkeit sein, die du für alle anstrebst.«
»Honious«, erwiderte er schwach. »Du hättest Advokatin werden sollen.«
»Timath hat Meister Cherix beauftragt.« Sie zuckte die Schultern und lächelte ihn zaghaft an. »Falls das für dich einen Unterschied macht.«
Edeard seufzte resignierend, legte den Kopf in den Nacken und starrte an die hohe, gewölbte Decke. »Ich werde mit dem Großmeister der Advokatengilde sprechen und ihn fragen, ob er zwischen dir und Timath zwecks einer Schlichtung vermitteln kann.«
»Danke, Waterwalker.«
»Ich denke, für dich bin ich immer noch Edeard.«
Salrana erhob sich und schaute ihn traurig an. »Nein, du bist der Waterwalker. Edeard von Ashwell ist am Tag von Bises Verbannung gestorben.«
Gegen Mittag nahm Edeard eine Gondel vom Orchard-Palast zum Abad-Distrikt. Während das Boot den Great Major Canal entlangglitt, konnte er die Menschenmassen sehen, die sich um die Türme in Eyrie scharten.
Noch ging niemand hinauf, das war nicht erlaubt bis zum Abend vor der Ankunft. Konstabler halfen Müttern der Herrin dabei, die Leute von den langen, gewundenen Treppen im Zentrum der Türme fernzuhalten. Bislang war es noch zu keiner Festnahme gekommen, obschon Edeard täglich Berichte über Zwischenfälle mit frustrierten Angehörigen erhielt. In der Tat musste der Aufstieg zu den Turmspitzen mit größter Vorsicht bewerkstelligt werden. Auf den in Querencias Himmel emporstoßenden Plattformen war nur begrenzt Platz, und es gab ringsum keine Seitengeländer. Ein jeder, der sich zu ihnen hinaufbegab, war alt und gebrechlich; er musste umsorgt und umhegt werden, sei es auch in seinen letzten Stunden. Die Mütter der Herrin waren inzwischen recht geübt darin, das Procedere zu meistern, auch wenn die Menschen, die mit wachsender Hoffnung während jeder strapaziösen zurückgelegten Meile von so weit angereist waren, dies kaum zu würdigen wussten.
Bislang hatte es, wie Edeard wusste, in dieser Woche fünfzehn Sterbefälle unter den in Eyrie Wartenden gegeben. Ihren Familien musste mit viel Taktgefühl und Verständnis begegnet werden. Dennoch hatten sich die Gemüter der Angehörigen erhitzt, und es war in der Folge bald zu Handgreiflichkeiten gekommen. Es so weit geschafft zu haben und dann doch kein Seelengeleit zu erhalten, war ihnen ein unerträglicher Gedanke. Nachvollziehbarerweise. In den nächsten sieben Tagen würde es weitere Todesfälle geben. Und jeder weitere würde für die noch Ausharrenden quälender und entsetzlicher sein als der vorherige.
Die Gondel legte an einem Steg im Zentrum von Abad an. Edeard stieg die Treppe zur Mayno Street hinauf und machte sich auf den Weg in den Distrikt. Nach einem Fußmarsch von fünfzehn Minuten hatte er die Boldar Avenue erreicht, ein im Zickzack verlaufender Pflastersteinweg mit eng stehenden mehrstöckigen Häusern. Die meisten Untergeschosse besaßen breite Eingänge und wurden als Läden oder Handwerksstätten genutzt. Einige davon waren brechend voll mit auswärtigen Besuchern.
Am anderen Ende der Straße standen zwei hohe Aprikosenbäume vor der Eingangstür eines der größeren Häuser; ihre Früchte begannen bereits anzuschwellen inmitten der flatternden Blätter. Sofort nahm Edeard die fremden Gedanken wahr, die aus dem Haus strömten. Mit seiner Fernsicht konnte er mehr als ein Dutzend Menschen in verschiedenen Räumen ausmachen, doch irgendwie schienen sie sich alle seltsam ähnlich zu sein. Der Gefühlszustand war bei jedem von ihnen der gleiche. Selbst der Rhythmus ihrer Gedanken stimmte überein. Verunsichert blieb er einen Moment vor der purpurrot gestrichenen Tür stehen. Tiefe Fenster waren an jeder Seite in die gekrümmte Wand eingelassen, ihre dunklen Vorhänge waren zugezogen. Dann klopfte er an.
Eine junge Frau öffnete ihm. Sie trug ein schlichtes schwarzes, mit weißer Spitze besetztes Kleid. Ihr langes kastanienbraunes Haar ringelte sich in kunstvollen
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