Evolution, Zivilisation und Verschwendung
gegenseitig.
Es wurde bereits erwähnt, dass ein wesentliches Merkmal der Moderne das massenhafte Entstehen größerer Organisationssysteme ist. Karl Marx bezeichnete die Wirtschaftsform dieser Epoche sogar als Kapitalismus.
Nun bilden aber Organisationen ihre eigenen Organisationsstrukturen und Dominanzhierarchien aus, wobei sie die jeweiligen Rechte und Pflichten der einzelnen Ebenen untereinander meist präzise festlegen und beschreiben.
In modernen Marktwirtschaften halten sich die Staaten aus dem eigentlichen Marktgeschehen weitestgehend heraus. Der Grundgedanke dabei ist, den Wettbewerb unter den verschiedenen Marktteilnehmern anzuregen, und sofür mehr Leistung und Innovation im Vergleich zu staatlichen Monopolbetrieben zu sorgen. Die Unternehmen sind nun aber wiederum aus Wettbewerbsgründen vor allem an hohen menschlichen Kompetenzen interessiert. Solange Energie in ausreichender Menge und dabei auch noch preiswert zur Verfügung steht, werden Unternehmen es immer vorziehen, Maschinen statt Menschen für die Verrichtung monotoner und körperlich schwerer Tätigkeiten einzusetzen. Die an qualifiziertem Humankapital interessierten Organisationen dürften deshalb eher Gesellschaftsstrukturen präferieren, in denen sich ihnen alle Bürger frei und gleich mit ihren Qualifikationen anbieten können, die Gesellschaft selbst also möglichst wenige Dominanzhierarchien und Klassen-, Rassen- beziehungsweise Geschlechterunterschiede aufweist 169 .
In Gesellschaften, in denen fast alle wesentlichen produktiven Aufgaben von Organisationssystemen erledigt werden, machen gesellschaftliche Dominanzhierarchien (einschließlich denen zwischen den Geschlechtern) keinen wirklichen Sinn mehr. Es reicht, wenn die Organisationen selbst über solche verfügen. Das verstärkte Aufkommen größerer Organisationen mit Beginn der Neuzeit dürfte deshalb ebenfalls einen beschleunigenden Effekt auf die allgemeine gesellschaftliche Durchsetzung der Gefallen-wollen-Kommunikation gehabt haben.
Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung und der damit einhergehende Wandel von der Ähnlichkeit zur Differenz (Durkheim 2008) hat eine immer stärkere Konzentration des Einzelnen auf eng umrissene Aufgaben (Spezialisierung) zur Folge, die sich dann aber ganz häufig nicht mehr mit anderen Tätigkeiten vereinbaren lassen 170 . Ferner besitzt die Spezialisierung gemäß Ricardos Theorem in der Regel zusätzliche komparative Kostenvorteile, aber eben auch nur dann, wenn es zu einer echten Spezialisierung kommt, und die Aufgaben nicht doch wieder mit irgendwelchen anderen Tätigkeiten zu vereinbaren sind. All dies bewirkt letztlich, dass sich das Individuum immerstärker von gesellschaftlichen Rollenvorgaben inklusive den durch sie vermittelten Gemeinschaftsaufgaben löst. Es kommt dann zum Prozess der Individualisierung und – sofern keine Gegenmaßnahmen erfolgen – bald darauf bei den davon betroffenen Gemeinschaftsaufgaben zur Tragik der Allmende. Dies wurde bereits in den Abschnitten
Tragik der Allmende
auf Seite → und
Individualisierung
auf Seite → näher erläutert.
6.6.1 Affektkontrolle
Eine starke Zunahme der Bevölkerungsdichte erzwingt zunächst einmal die weitestgehende Beherrschung von Affekten, denn jedes auffällige Verhalten (zum Beispiel lautes Schreien) könnte von einem Anwesenden als eine Warnung oder gar Attacke verstanden werden und dann eventuell sogar zu einem unnötigen Blutvergießen führen. Um die hierdurch entstehenden Gefahren zu minimieren und auch sonstige Gewaltverbrechen zu erschweren, wurde dem Staat dann schließlich das Gewaltmonopol übertragen. Auf diesen entscheidenden Schritt im Prozess der Zivilisation soll im nächsten Abschnitt noch näher eingegangen werden.
Wie wir bereits gesehen haben, gehen der Bevölkerungszuwachs und der damit in Zusammenhang stehende Trend zur gesellschaftlichen Ausdifferenzierung, Individualisierung, Arbeitsteilung und Spezialisierung mit einer sukzessiven Umstellung von dominanten Kommunikationsweisen auf die Gefallen-wollen-Kommunikation einher. Denn nun kommt es ja vor allem darauf an, sich zu qualifizieren, sich mit seinen Kompetenzen anzubieten und andere von sich zu überzeugen, das heißt, zu gefallen.
Dies gilt im Grunde für alle gesellschaftlichen Interaktionen, denn schließlich könnte es sich ja bei jeder Begegnung um einen möglichen späteren Sexualpartner, Kunden oder Arbeitgeber handeln. Und wenn nicht, dann könnte man noch immer von einer solchen Person
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