Evolution, Zivilisation und Verschwendung
in der Kommunikation mit anderen beobachtet werden. Allein schon deshalb sollte man stets darum bemüht sein, einen guten Eindruck zu hinterlassen.
Dies hat weitreichende Konsequenzen. Denn wie wir im Abschnitt
Gefallenwollen-Kommunikation
auf Seite → gesehen haben, handelt es sich selbst bei der ungefragten Bekundung von Selektionsinteressen um eine Form der dominanten Kommunikation. Es wäre deshalb beispielsweise völlig undenkbar, wenn man einem Mann in einer Alltagssituation seine sexuelle Erregung ansehen könnte. Und umgekehrt hat es eine Frau dann natürlich auchtunlichst zu vermeiden, einen Mann in dieser Hinsicht zu provozieren. Die Körper sind folglich zu bedecken.
Generell gilt nun, dass Triebregungen und Gefühle zu kontrollieren und eventuell auch sehr weit zurückzustellen sind. Aber dies war ja ohnehin eine der Grundvoraussetzungen bei der Einführung der sexuellen Selektion in der Natur: Ein an einem Weibchen interessiertes Männchen hatte sich zu beherrschen, musste versuchen es zu überzeugen, und wenn dies nicht heute gelang, dann vielleicht ein anderes Mal. Es musste lernen, sich so lange zu kontrollieren, bis es von der weiblichen Seite erhört wurde, ganz anders etwa als bei einem Haremsbesitzer, der auf die Interessen der Gegenseite nur wenig Rücksicht nehmen muss. Mit der sexuellen Selektion kam die Kultur in die Welt.
Von da ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, bis auch die Beherrschung aller anderen Gefühle und Triebregungen gelingt. An vorderster Stelle steht hier sicherlich die Nahrungsaufnahme, die so lange zurückzustellen ist, bis die Tischzeit gekommen, oder man auch nur einfach an der Reihe ist. Und selbst dann sollte man sich vorzugsweise maßvoll verhalten und Speisen und Getränke nur jeweils in kleinen Portionen zu sich nehmen, schluckweise und durch Messer und Gabel entsprechend portioniert.
Auch sonst ist alles zurückzunehmen, was andere irritieren oder gar belästigen könnte, wie unvermittelte Laute, unangenehme Gerüche, Rülpsen etc. Die Speisen sind mit Messer und Gabel zu verzehren, um nicht die eigenen Finger zu beschmutzen, was sich in darauffolgenden Kommunikationen als nachteilig erweisen könnte 171 . Die Kleidung hat attraktiv zu sein, man sollte gewaschen sein, einen angenehmen Körpergeruch haben, sich elegant bewegen und auch sonst ständig darum bemüht sein, einen positiven Eindruck zu hinterlassen und – im wahrsten Sinne des Wortes – bei niemandem ins Fettnäpfchen zu treten. Damit dies nicht zu häufig geschieht, ist man gut beraten, sich permanent selbst zu kontrollieren: Selbststeuerung statt Fremdsteuerung also.
Generell sollten nun die Umgangsformen höflich sein, denn damit erweist man anderen seine Wertschätzung, die Grundregel Nummer eins bei der Gefallen-wollen-Kommunikation. So werden den Frauen die Türen aufgehalten oder ihnen in den Mantel geholfen, und zwar als generelles Zeichen der Wertschätzung, aber auch der Werbung um sie.
Wer all dies bis zur Perfektion beherrscht, demonstriert damit seine Kultiviertheit, aber auch, dass er bereits ganz in der Moderne angekommen ist. Denn in einer komplexen, arbeitsteiligen Welt müssen Arbeitsabläufe präzise kalkulierbar sein, und dies setzt die Verlässlichkeit der daran beteiligten Personen voraus, die folglich in der Lage sein müssen, ihre elementaren Gefühle und Triebregungen entsprechend den Anforderungen der Produktion zurückzustellen. Wer auf diese Weise verlässlich ist, der gefällt.
Eine weitere Facette der Moderne ist die Individualisierung, die mit einer Verbesserung der Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen und der zunehmenden Wahrnehmung von dessen Rechten – einschließlich des Rechts, nicht gestört zu werden – einhergeht. Im Grunde ist nun jedes Individuum (
Ego
) so zu behandeln, als wäre es ein König. Allein schon die deutlich zugenommene Bevölkerungsdichte macht so etwas zu einer Notwendigkeit.
Der Grundgedanke dabei ist:
Ego
hat das Recht, nicht gestört zu werden.
Wenn
Ego
Selektionsinteressen entgegennehmen möchte, betritt es den dazu passenden Kontext (ähnlich wie bei einer königlichen Audienz).
Aus Sicht des Systems
Ego
gehört
Alter
zu dessen Umwelt. Ein Selektionsinteresse seitens
Alter
könnte
Ego
stören (perturbieren). Also tritt
Alter
zunächst zurück und wartet so lange, bis
Ego
einen Kontext betritt, bei dem das Äußern von Selektionsinteressen zulässig ist.
Allerdings sind bei sehr dringenden und wichtigen Anliegen auch
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