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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
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gemäß Durkheim auf der Differenz und nicht mehr der Ähnlichkeit von Individuen.
    Zivilisierung und Individualisierung bewirken also einerseits einen Wandel von der Ähnlichkeit zur Differenz, allerdings damit gleichzeitig auch eine zunehmende Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz, weil sich ja sonst Differenz als gesellschaftliches Prinzip kaum rechtfertigen ließe. Damit verschwinden dann sukzessive auch alle durch die Geburt oder die Zugehörigkeit zu einer Klasse, Rasse oder einem Geschlecht legitimierte Rechteunterschiede. Die Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder vor dem Gesetz dürfte dann irgendwann das zwangsläufige Resultat dieser Entwicklung sein.Es liegt im unmittelbaren Interesse der Unternehmen, menschliche Leistungen tauschbar und gemäß den tatsächlich erbrachten Leistungen bewertbar zu machen. Sonstige menschliche Merkmale wie Klassenzugehörigkeiten beziehungsweise Rassen- oder Geschlechterunterschiede dürften solchen Äquivalenzbestrebungen eher im Wege stehen. Dominanzhierarchien sind daher eher eine Sache der Unternehmen selbst, und zwar auf Basis von Verantwortungen, Kompetenzen und Leistungen.
    Weil Differenz, Arbeitsteilung, Spezialisierung und Individualität nun die gesellschaftlichen Prinzipien sind, muss Ähnlichkeit wieder künstlich hergestellt werden. Dies geschieht über Interessengruppen oder andere Organisationen (Gewerkschaften, Parteien etc.), die Menschen mit vergleichbaren Interessen zu größeren Verbänden bündeln, und die deren und vielleicht auch ihre eigenen Anliegen mittels der Gefallen-wollenKommunikation – das heißt, auf demokratische Weise – einer breiteren Öffentlichkeit vortragen, beziehungsweise sich damit zur Wahl stellen.
    Die Demokratie ist dann die sich fast zwangsläufig ergebende Staatsform. Basiert auch noch die Wirtschaft auf der Gefallen-wollen-Kommunikation, dann haben wir es mit einem marktwirtschaftlich organisierten demokratischen Rechtsstaat zu tun 174 .
    Ein individualisiertes Gesellschaftsmitglied dürfte für sich allein betrachtet kaum lebensfähig sein. Es benötigt im Allgemeinen eine voll funktionierende Gesellschaft. Gleichzeitig hat die Individualisierung eine beträchtliche Zunahme individueller Lebensrisiken zur Folge, die sozialisiert werden müssen, will man dem Individuum nicht zu hohe und gegebenenfalls untragbare Lasten aufbürden. Der Wohlfahrtsstaat dürfte somit eine unmittelbare Konsequenz der bislang beschriebenen Prozesse der Moderne sein, womit wir schließlich insgesamt beim marktwirtschaftlich organisierten, demokratischen Wohlfahrtsstaat heutiger Ausprägung (soziale Marktwirtschaft) angekommen wären.
    Ein bislang ungelöstes Problem solcher Staatsformen ist die angemessene Vertretung von Interessengruppen, die sich kaum oder überhaupt nicht selbst vertreten können. Individuen und sonstige Akteure besitzen zwar ein eigenständiges Selbsterhaltungsinteresse, oft aber nur eine recht begrenzte Wahrnehmung für die Interessen anderer, beispielsweise die der nächsten Generation, die ja noch gar nicht geboren ist, und somit auch kein Stimmrecht besitzt. So verfügen die meisten modernen Länder zwar über hochentwickelte Alterssicherungssysteme, aber kaum über Mechanismen zur Sicherstellung des Prinzips der Generationengerechtigkeit, das heißt, einer angemessenen Vertretung der kommenden Generationen. Ein ähnliches Problem gilt für den Bereich der gesellschaftlichen Reproduktion insgesamt.
    Auch können in Demokratien ungünstige Selbstläuferprozesse entstehen. Beispielsweise ist denkbar, dass in einer alternden Gesellschaft aus wahltaktischen Gründen zunehmend Gesetze zum Nutzen des älteren Teils der Bevölkerung verabschiedet werden. Hierdurch könnte es zu einem weiteren Rückgang der Geburtenraten und damit zu einer Beschleunigung des gesellschaftlichen Alterungsprozesses kommen. In der Folge entstünde dann eine Gerontokratie, in der für notwendige gesellschaftliche Reformprozesse keine Mehrheiten mehr erzielbar wären (Sinn/Übelmesser 2000). Ähnliche Entwicklungen sind auch bei anderen sozialstaatlichen Maßnahmen vorstellbar.
    Und schließlich haben Interessengruppen vor allem ihren eigenen Selbsterhalt und die durch sie vertretenen Interessen im Sinn. So möchte beispielsweise eine politische Partei zunächst einmal die nächste Wahl gewinnen. Sie wird folglich eher politische Maßnahmen präferieren, die für eine möglichst große Zahl aktueller Wähler von Vorteil sind, statt solchen, die der

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