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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
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Ausnahmen erlaubt, die jedoch angemessen höflich vorzutragen sind:
    Entschuldigen Sie, kennen Sie sich hier aus?
    Die versteckte Botschaft dahinter lautet:
    Ich habe ein wichtiges Anliegen, nämlich Sie nach dem Weg zu fragen. Sind Sie dazu bereit? Würden Sie mich als Ihren Kommunikationspartner akzeptieren? Würden Sie mich selektieren?
    Im Rahmen des Prozesses der Zivilisation hat die Gefallen-wollenKommunikation fast die gesamte gesellschaftliche Interaktion durchdrungen.
    Im Abschnitt
Systemische Evolutionstheorie
auf Seite → wurde deutlich gemacht, dass die biologische und die kulturelle Evolution nicht gänzlich unabhängig voneinander betrachtet werden können, sondern dass zwischen beiden eine enge Wechselwirkung besteht (Dobzhansky 1965: 34).
    In unserer Gesellschaft wird davon abweichend jedoch meist die Auffassung vertreten, die mit dem Prozess der Zivilisation einhergehenden langfristigen psychogenen Veränderungen von Menschen hätten keinerlei biologische Grundlagen, sondern wären das ausschließliche Produkt des gesellschaftlichen Wandels und einer sich daran anpassenden Sozialisation.
    Dies dürfte wenig wahrscheinlich sein. Stattdessen ist davon auszugehen, dass der Veränderungsprozess der Zivilisation alle Evolutionsebenen betrifft.
6.6.2 Schutz
    Das Gefühl der Sicherheit gehört zu den wichtigsten Errungenschaften der Zivilisation. Dieses stellt sich in vielen entwickelten Ländern selbst dann ein, wenn man abends noch ganz alleine einen Spaziergang macht: Kein Wolf greift an, und auch niemand sonst trachtet einem nach dem Leben, missachtet das Recht auf körperliche Unversehrtheit oder verlangt die Herausgabe der Brieftasche. Sicherheit bedeutet letztlich nichts anderes als: Gefährliche und belästigende dominante Kommunikationsweisen (insbesondere der Natur) sind sehr weit zurückgedrängt 172 .
    Damit all dies möglich wurde, musste dem Staat das Gewaltmonopol übertragen werden. In der Tat ist sogar die Herausbildung der Territorialstaaten ganz wesentlich auf diesen Akt zurückzuführen (Zürn 2005: 95).
    Interessanterweise gehören Schutzleistungen zu den ganz wenigen, wenn nicht sogar einzig verbliebenen Kollektivaufgaben, zu deren Zielerfüllung in den entwickelten Ländern selbst heute noch vereinzelt dominante Kommunikationsweisen angewendet werden. Beispielsweise besteht in der Bundesrepublik Deutschland für junge Männer nach wie vor die allgemeine Wehrpflicht. Ferner könnte der Staat in Verteidigungssituationen, aber auch bei schweren Katastrophen, mobil machen und Menschen zu bestimmten Aufgaben bindend verpflichten.
    Die Übertragung des Gewaltmonopols an den Staat ging mit einer Erhöhung der Affektkontrolle bei den Individuen einher: Auseinandersetzungen werden seitdem nicht mehr spontan unter Streitenden geregelt, sondern neutralen staatlichen Instanzen überlassen. Dies hat maßgeblich zu einer Verbesserung des persönlichen Sicherheitsstatus geführt. Da nun die Menschen in der Regel keine Waffen mehr tragen und im Großen und Ganzenauch gar nicht mehr verteidigungsbereit beziehungsweise -willig sind, reduzierte sich gleichzeitig die Gefahr spontaner Überfälle. Was in historischen Gesellschaften noch die Aufgabe jedes gesunden Mannes war, erledigen in modernen Gesellschaften Polizei und andere staatliche Organe.
    Die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols stellte eine entscheidende Voraussetzung für den Übergang in die Industrialisierung und den Beginn der Moderne dar, denn sie machte das Leben kalkulierbar. Wer ständig kämpfen und sich, seine Angehörigen und sein Eigentum verteidigen muss, der kann nicht langfristig planen.
    Das staatliche Gewaltmonopol wird allgemein als so substanziell für den Prozess der Zivilisation angesehen, dass es selbst dann nicht mehr in Frage gestellt wurde, als es zu einem späteren Zeitpunkt von despotischen Machthabern für ihre Interessen ausgenutzt wurde.
6.6.3 Demokratisierung
    Individualisierung, Arbeitsteilung, gesellschaftliche Ausdifferenzierung und Gefallen-wollen-Kommunikation machen die prinzipielle Gleichstellung aller Menschen bei gleichzeitiger Respektierung ihrer sonstigen Verschiedenheiten erforderlich 173 . Hierdurch kommt es zum Verschwinden von sozialen Dominanzhierarchien, Rassen- und Geschlechterdiskriminierungen und von Klassenunterschieden als dem entscheidenden Kriterium für die gesellschaftliche Rangordnung von Individuen, denn die soziale Interaktion basiert ja nun auf der Arbeitsteilung, das heißt,

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