Evolution, Zivilisation und Verschwendung
leistungsfähiger Banken undFinanzmärkte gerecht. Erst damit waren die Voraussetzungen geschaffen, um biologische Phänomene dieser Größenordnung entstehen zu lassen.
Mit zunehmender Größe können Unternehmen kostengünstiger produzieren (aufgrund der Nutzung von Skaleneffekten) und sich somit gegenüber Konkurrenten einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Mit dem Wachstum differenzieren sie sich dann intern immer weiter aus, und zwar zur Komplexitätsreduzierung.
Ein ganz ähnlicher Effekt ist mit Beginn der Neuzeit auch gesellschaftsweit zu verzeichnen. Aufgrund des in diesem Zeitraum einsetzenden starken Bevölkerungswachstums und der dadurch bedingten höheren Bevölkerungsdichte kam es gemäß Emile Durkheim zunächst zu einer Verstärkung der Arbeitsteilung und dann auch zu einer zunehmenden funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft, und zwar auch hier zur Komplexitätsreduzierung.
Eine hohe Bevölkerungsdichte hat aber noch ganz andere Konsequenzen. Beispielsweise ist es dann viel schwieriger, individuell für den eigenen Schutz oder den der Familie zu sorgen, und zwar insbesondere dann, wenn Menschen im Allgemeinen noch bewaffnet sind und sich auf unmittelbare körperliche Auseinandersetzungen eingestellt haben. Unter solchen Verhältnissen bietet es sich geradezu an, sich in Konfliktsituationen etwas zurückzunehmen, die Interessen anderer wahrzunehmen und zu wahren und vor allen Dingen auch jederzeit ‚cool’ zu bleiben. Mit anderen Worten: Eine deutliche Erhöhung der Bevölkerungsdichte hat nicht nur veränderte Anforderungen bei den Schutzmaßnahmen zur Folge, sondern auf der anderen Seite auch eine verstärkte Affektkontrolle auf Seiten der Individuen. Auf diese beiden wichtigen Aspekte soll in den folgenden Abschnitten noch einmal gesondert eingegangen werden.
Hohe Bevölkerungsdichten dürften auch in der Natur mit einem Rückgang ausgeprägter Dominanzhierarchien einhergehen, denn ansonsten würden durch die dann alsbald zu erwartenden permanenten Auseinandersetzungen um Rangpositionen viel zu viele Reibungsverluste entstehen. Beispielsweise wäre ein einzelnes Männchen unter solchen Gegebenheiten wohl kaum noch in der Lage, seinen Harem aus mehreren Weibchen gegen eine Übermacht aus partnerlosen Männchen zu verteidigen. In solchen Konstellationen scheint also die sexuelle Selektion mit der Auswahl geeigneter Männchen durch die Weibchen die bessere und friedlichere Strategie zu sein. Mit anderen Worten: Allein schon die Zunahme der Bevölkerungsdichte dürfte einen Trend zur Gefallen-wollen-Kommunikation zur Folge haben.
Eine verstärkte Arbeitsteilung und gesellschaftliche Ausdifferenzierung geht Hand in Hand mit einer zunehmenden beruflichen Spezialisierung. Im Rahmen der sich ausdifferenzierenden Arbeitswelt entstehen dann immer mehr Jobs mit ganz spezifischen Anforderungen, auch was die dafür erforderlichen Kompetenzen angeht. Die Menschen sind nun allgemein dazu gezwungen, sich mit ihren jeweiligen Kompetenzen auf den Arbeitsmärkten anzubieten, das heißt, mit ihren Fähigkeiten „gefallen“ zu wollen. Auch hier wäre also ein genereller Trend zur Gefallen-wollen-Kommunikation festzustellen.
Umgekehrt erfolgt die gesellschaftliche Ausdifferenzierung aber nicht nur zur Komplexitätsreduzierung, sondern sie dürfte zum Teil eine direkte Konsequenz der zunehmenden Bedeutung der Gefallen-wollen-Kommunikation sein. Gefallen-wollen bedeutet nämlich auch, sich immer wieder – und ganz besonders nach Misserfolgen – auf die Suche nach neuen Möglichkeiten, Nischen oder Geschäftsoptionen zu machen. Die hierdurch entstehende weitere Ausdifferenzierung schafft dann gegebenenfalls ganz neue Bedürfnisse und Erwartungen. Jeder Einzelne ist nun gefordert, seinen eigenen Weg zu finden und einzuschlagen, spezifische Fähigkeiten zu entwickeln und Qualifikationen zu erwerben und dann auch damit zu werben. Anders gesagt: Es kommt zu einem Wandel von der Ähnlichkeit zur Differenz (Durkheim 2008) und damit auch zu einer zunehmenden Individualisierung, bei der die Menschen aus ihren traditionalen Bindungen gerissen und verstärkt auf sich selbst und ihr individuelles Arbeitsmarktsrisiko verwiesen werden (Peuckert 2005: 363f.). Die durch gesellschaftliche Rollenvorgaben vermittelten Fremdzwänge werden im Rahmen dieser Entwicklung dann mehr und mehr durch Selbstzwänge ersetzt (Elias).
Gefallen-wollen-Kommunikation und gesellschaftliche Ausdifferenzierung bewirken sich folglich
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