Evolution, Zivilisation und Verschwendung
ihren Augen signalisiert die knappe Kleidung der Frau deren generelle Bereitschaft für die Entgegennahme von Selektionsinteressen. Oder anders gesagt: Sie wollte es ja so.
Das letzte Beispiel macht deutlich, dass in unserer Gesellschaft auch schon das Anzeigen von Selektionsinteressen als dominantes Verhalten eingestuft werden kann, und zwar insbesondere dann, wenn nicht davon auszugehen ist, dass der Empfänger aktuell an solchen Mitteilungen interessiert ist.
Niklas Luhmann hätte an dieser Stelle vermutlich darauf hingewiesen, beide Seiten befänden sich zum gegebenen Zeitpunkt in unterschiedlichen Systemen mit ihren jeweils eigenen Sinnzusammenhängen. Beispielsweise könnte sich die junge Frau gerade auf dem Weg zu einer Party befinden. Dort möchte sie einige jüngere Männer von sich beeindrucken und hat sich entsprechend zurechtgemacht. Während der Party ist sie folglich für männliche Selektionsinteressen aufnahmebereit, auf dem Weg dorthin jedoch nicht.Dies erklärt für sich allein jedoch noch nicht, wodurch verschiedene Kommunikationsarten in den jeweiligen Systemen als angemessen erscheinen oder nicht. Betrachten wir dazu einmal das folgende Beispiel:
Beispiel 5:
Sie öffnen auf Ihrem PC Ihren Postkorb. Neben drei E-Mails von Geschäftspartnern und Freunden finden sie 200 weitere Nachrichten, die Ihnen den Erwerb von Aktien, Potenzmitteln, hübschen Bildern, Schlankheitspillen, Krediten oder Umschuldungspaketen nahelegen.
Im Vergleich zur dominanten Selektion des Löwen ist dies sicherlich eine ganz harmlose Geschichte, denn auf diese Weise signalisieren ihnen andere lediglich ein Selektionsinteresse: „Bitte wählen Sie unsere Dienstleistungen!“. Solche Anbieter wollen Sie nicht verspeisen, sondern Ihnen etwas verkaufen. Und dennoch: Sie rauben Ihnen einen Teil Ihrer Aufmerksamkeit und damit auch Zeit und Energie, und zwar ganz ohne Ihr Einverständnis. Schon das Signalisieren von Selektionsinteressen kann also durchaus problematisch sein.
Das ist in der Natur keineswegs anders. Bereits das sichtbare Auftreten eines Löwenrudels dürfte eine friedlich an einer Wasserstelle weilende Herde Gnus oder Zebras in helle Aufregung versetzen.
2.3 Gefallen-wollen-Kommunikation
Alles will, dass man es liebt. Wir singen und tanzen und schneiden Gesichter und schenken Blumen, weil wir wollen, dass man uns liebt. 27
Im Frühjahr warn zwei junge Kerle
verliebt in Jana – sie kam aus Werle.
Mit aller Macht und wie von Sinnen
wollten sie ihr Herz gewinnen.
Doch wer für sie der Wahre ist
fand Jana raus mit einer List.
Drum zückte sie zwei Duplo schnell.
Der eine fraß es – gar nicht hell,
der andere, und das gefiel,
hatte einfach viel mehr Stil.
So eroberte und gewann er sie –
mit der hohen Kunst der Duplomatie! 28
Wie im Kapitel
Evolution
auf Seite → noch gezeigt wird, gelang der Natur mit der Einführung der sexuellen Selektion eine ganz entscheidende Neuerung: Sie erfand den Markt, und damit die sogenannte
Gefallen-wollenKommunikation
29 .
Denn aufgrund der bei der sexuellen Fortpflanzung üblicherweise sehr unterschiedlichen potenziellen Fruchtbarkeit von männlich versus weiblich (Voland 2007: 49) und der damit verbundenen unterschiedlichen Aufteilung der Elterninvestments zwischen den Geschlechtern, kam es auf Seiten der Männchen zu einer künstlichen Ressourcenverknappung bei den Fortpflanzungspartnern. Die Männchen gerieten hierdurch unter einen erheblichen zusätzlichen Selektionsdruck, und zwar selbst dann, wenn sich der Lebensraum regelrecht als Schlaraffenland erwies.
In der Folge konkurrierten die Männchen um die „Ressource“ Fortpflanzungspartner, während die Weibchen die Wahl hatten. Bei vielen Arten etablierte sich daraufhin ein Paarungsverhalten, was vorrangig darin besteht, dass die Männchen den Weibchen zu imponieren versuchen, und letztere dann bevorzugt jene Exemplare wählen, die ganz besonders ihren Gefallen finden. Mit anderen Worten, es kristallisierte sich ziemlich genau das auf modernen Marktplätzen vorherrschende Verhältnis zwischen Verkäufern (Männchen) und Käufern (Weibchen) heraus.
Wer anderen etwas anzubieten hat, muss zunächst um deren Aufmerksamkeit buhlen, wozu oft ausgesprochen verschwenderische Signale zur Bekundung von Selektionsinteressen ausgesendet werden.
Betritt etwa ein potenzieller Käufer ein auf Unterhaltungselektronik spezialisiertes Geschäft, dann wird er zunächst auf meist recht prachtvolle Weise mit den Angeboten des
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