Evolution, Zivilisation und Verschwendung
Händlers konfrontiert. In allen diesen Fällen handelt es sich um verbindliche Selektionsinteressen, die allerdings an Bedingungen (insbesondere Preise) geknüpft sind. Der Interessent kann sich nun über die Spezifikationen oder andere Details der Ware informieren und sie sichgegebenenfalls sogar vorführen lassen. Wenn er sich nicht entscheiden kann, wird er möglicherweise noch weitere Geschäfte aufsuchen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang: Mit dem Betreten des Geschäftes signalisiert der Käufer seine grundsätzliche Bereitschaft für die Entgegennahme von Selektionsinteressen. Mit der Bekanntgabe seiner Post- oder Emailadresse tut er dies dagegen noch nicht.
Ganz ähnlich verhält es sich bei einer jungen Frau auf einer Party oder in der Diskothek: Erscheint sie ohne feste männliche Begleitung, gibt sie indirekt ihr Einverständnis zu verstehen, angesprochen oder zum Tanzen aufgefordert zu werden. Allerdings ist es ihr überlassen, entsprechende Angebote anzunehmen oder abzulehnen, ungefähr so wie bei unserem Käufer.
Verlässt sie den Kontext Diskothek, erlischt ihre Bereitschaft für die Entgegennahme von Selektionsinteressen. Eine direkte „Anmache“ auf der Straße dürfte dann in der Regel genauso unwillkommen sein, wie etwa ein ungebetener Telefonanruf eines Staubsaugervertreters nach Feierabend.
Mit der sexuellen Selektion setzte sich in der Natur – und später erst recht in menschlichen Gesellschaften – das sogenannte Hollywood-Prinzip durch: „Don’t call us, we’ll call you!“
Oder anders gesagt: „Bitte stören Sie uns nicht ungefragt mit Ihren Selektionsinteressen. Wenn wir etwas von Ihnen wollen, dann werden wir uns bei Ihnen schon melden. Oder auch nicht.“
Der Ablauf einer auf diesem Prinzip basierenden Kommunikation kann wie folgt beschrieben werden:
Der Empfänger (Ego, Kunde, Weibchen) signalisiert seine Bereitschaft für die Entgegennahme von Selektionsinteressen.
Verschiedene Sender (Alter, Anbieter, Männchen) übermitteln ihre Selektionsinteressen an Ego.
Ego entscheidet sich für einen Anbieter.
Im ersten Schritt betritt der Empfänger (Ego, Kunde, Weibchen) also zunächst einen bestimmten Kontext, der in der Folge dann eine sinnhafte Gefallen-wollen-Kommunikation ermöglicht. Der Kontext kann durch diverse Parameter festgelegt sein, zum Beispiel:
Wer darf ein Selektionsinteresse äußern?
Jeder, oder nur Personen mit bestimmten Eigenschaften, Zulassungen (zum Beispiel Börsenhändler) etc.?
Wo darf ein Selektionsinteresse geäußert werden?
Werbung, Börse, Einkaufsstraße, Geschäft, etc.
Wie ist ein Selektionsinteresse zu äußern?
Mit verbindlicher Preisangabe, schriftlich etc.
Wann darf ein Selektionsinteresse geäußert werden?
Zu den Ladenöffnungszeiten, Börsenzeiten etc.
Wem gegenüber darf ein Selektionsinteresse geäußert werden?
Kunden, Börsenhändlern etc.
Für was darf ein Selektionsinteresse geäußert werden (Sinnzusammenhang)?
Aktien, Angebot von Waren und Dienstleistungen, Sex etc.
Im Grunde geht es hier um Fragen, die in der Luhmannschen Systemtheorie in Bezug auf den Sinnzusammenhang oder in der Diskurs-Theorie Michel Foucaults gestellt werden (Hörisch 2005: 83):
Wer darf in wessen Namen und mit welchen Folgen was wie zu wem sagen? So schlicht und so konkret lautet die Leitfrage der Diskurstheorie Michel Foucaults (1926-1984).
Der obige Kommunikations-Ablauf kann nun auf Basis unserer Ausführungen zum Kommunikations-Kontext wie folgt vereinfacht dargestellt werden:
Betreten des Kontextes
Äußerung von Selektionsinteressen
Selektion
Der in diesem Abschnitt beschriebene Kommunikationsstil ist primär auf die individualistischen Interessen von „Ego“ (des Kunden) ausgelegt. Weil „Alter“ dabei „Ego“ überzeugen und gefallen will, soll dieser Stil im Folgenden
Gefallen-wollen-Kommunikation
genannt werden. Im Laufe des vorliegenden Buches wird gezeigt, dass die sukzessive Durchsetzung dieser Kommunikationsweise in der sozialen Interaktion maßgeblich für Prozesse wie technische Evolution, Zivilisation, Individualisierung, aber eben auch Umweltverschmutzung und Verschwendung verantwortlich sein dürfte.
Es lässt sich durchaus argumentieren, dass sich bei hohen Bevölkerungsdichten ein genereller Trend zur Gefallen-wollen-Kommunikation im Vergleichzur dominanten Kommunikationsweise herauskristallisieren wird, denn erstere dürfte mit viel geringeren gesellschaftlichen Reibungsverlusten verbunden sein.
Im Abschnitt
Systemische
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