Evolution, Zivilisation und Verschwendung
2007a: 207 ff).
2 Selektionen
2.1 Systemtheoretischer Ansatz
Im Laufe der folgenden Kapitel wird immer wieder auf verschiedene systemtheoretische Begriffe und Ansätze Bezug genommen. Dies hat einen ganz einfachen Grund: Das vorliegende Buch argumentiert im Wesentlichen systemtheoretisch. Im Kapitel
Evolution
auf Seite → werde ich sogar die biologische Evolution – und die kulturelle, soziale, wissenschaftliche und technische gleich mit dazu – aus Systemeigenschaften der beteiligten Individuen heraus erklären. Dabei werde ich unter anderem zeigen, dass Evolution nicht etwa deswegen stattfindet, weil die jeweils Tauglichsten überleben, sondern weil sich Individuen selbsterhalten und gegebenenfalls auch fortpflanzen 22 wollen, das heißt, weil sie leben und überleben
wollen
.
Evolution ist folglich eine Eigenschaft des Lebens selbst. Im Grunde könnte man sagen: Das Leben muss evolvieren, damit es überleben kann.
Doch bevor ich auf all dies zu sprechen komme, möchte ich mich zunächst ein wenig mit den sogenannten „Selektionen“ beschäftigen.
Spätestens seit Darwins Formulierung der „natürlichen Selektion“ wird der Begriff der Selektion in den Wissenschaften in einer Weise verwendet, die sich nicht immer mit dem üblichen Sprachgebrauch deckt.
Nach Auffassung der Luhmannschen Systemtheorie (siehe Abschnitt
Luhmannsche
Systemtheorie auf Seite → ) bilden sich Systeme aus Operationen. In sozialen Systemen (siehe Abschnitt
Soziale Systeme
auf Seite → ) handelt es sich bei diesen Operationen dann um Kommunikation, oder anders gesagt: soziale Systeme kommunizieren.
Dabei wird angenommen, eine Kommunikation agiere zwischen Sender (
Alter
) und Empfänger (
Ego
) 23 und setze sich grundsätzlich aus drei Teilschritten zusammen, denen jeweils Selektionen entsprechen, wobei die ersten beiden auf Seiten des Senders erfolgen und der letzte auf der des Empfängers:
Selektion der
Information
(Alter: „Was finde ich informativ?“)
Selektion der
Mitteilung
(Alter: „Was davon teile ich mit?“)
Selektion der Annahme/des
Verstehen
s (Ego: „Aha, mir wird etwas mitgeteilt!“)
Beispiel:
Frau Müller (Alter) beobachtet, wie Herr Meier tagsüber Frau Schulze besucht. Anschließend teilt sie Frau Meier (Ego) mit: „Frau Schulze hat heute Herrenbesuch erhalten.“ Die Mitteilung weicht also bereits von der ursprünglichen Information ab. Bei Frau Meier kommt nun aber Folgendes an: „Aha, Frau Müller beobachtet genau, was in der Nachbarschaft passiert. Dann müssen ihr Mann Werner und ich bei unserem nächsten Treffen noch vorsichtiger sein!“
Bevor Frau Müller ihrer Nachbarin Frau Meier etwas mitteilen konnte, musste sie diese jedoch zunächst als Kommunikationspartner (als Ego) selektieren 24 . Im vorliegenden Kapitel wird es vor allem um diesen Prozess der Selektion und dem damit einhergehenden Umgang mit
Selektionsinteressen
gehen.
Auch wenn es sicherlich sehr viele unterschiedliche Möglichkeiten bei der Wahl von Kommunikationspartnern gibt 25 , so sollen in den folgenden Ausführungen doch zwei Kommunikationsarten herausgestellt werden, die sich grundsätzlich im Umgang mit Selektionsinteressen unterscheiden.
Dominante Kommunikation
Gefallen-wollen-Kommunikation
Bei den beiden Alternativen bestehen recht unterschiedliche Anforderungen, was die Intelligenz der Kommunikationspartner angeht. So muss zwar
Alter
bei der dominanten Kommunikation seinen
Ego
wählen, das heißt, grundsätzlich unterscheiden können und somit über ein Minimum an Intelligenz verfügen, für
Ego
bestehen in dieser Hinsicht aber keinerlei Voraussetzungen. Vereinfacht ausgedrückt:
Ego
könnte auch eine Kartoffel sein. Ganz anders verhält es sich bei der Gefallen-wollen-Kommunikation, denn hier wird vor allem eine Unterscheidungsfähigkeit auf Seiten des
Egos
verlangt. Würde etwa bei der sexuellen Selektion
Alter
noch die Information „ist ein Weibchen“ genügen, so müsste
Ego
ganz im Gegensatz dazu unter Umständen verschiedene bunt gefiederte Pfauenschweife vergleichen und bewerten können. Mit anderen Worten:
Ego
muss intelligent sein.
Charles Darwin lehnte sich bei seiner Formulierung des Prinzips der „natürlichen Selektion“ vorstellungsmäßig sehr stark an die künstliche Zuchtwahl an. So wie Züchter einzelne Tiere nach bestimmten Kriterien „selektieren“, so würde dies auch die Natur im Laufe der Evolution tun. Das Kapitel
Evolution
auf Seite → wird jedoch zeigen, dass dem nicht so ist.
Der
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