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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
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Technologien sind Kompetenzen (Adaptionen) sozialer Systeme, die sich mit ihnen zusammen ausbilden.
Für die Systemische Evolutionstheorie ist Evolution ein aktiver Vorgang, der unmittelbar aus Systemeigenschaften der an ihr beteiligten Individuen entspringt. Die Individuen
erschaffen
die
Evolution
folglich aus sich
selbst
heraus. Die natürliche Selektion wendet Evolution dagegen in etwas Passives. Überspitzt könnte man sagen: Bei der natürlichen Auslese wählt die Natur (oder gar ein göttliches Wesen) die geeignetsten Individuen aus.
Selbsterhaltende Systeme wollen sich selbsterhalten (
Selbsterhaltungsinteresse
). Damit ist aber insbesondere auch immer die Anpassung (
Adaption
) an ihren Lebensraum gemeint 81 , ferner umgekehrt die aktive Veränderung und Erweiterung des Lebensraums 82 . Anders gesagt: Selbsterhaltende Systeme sind bestrebt, ihre Kompetenzen im Umgang mit ihrer primären selektiven Umwelt zu erhalten, und sei es durch Veränderung oder Erweiterung des Milieus. In diesem Sinne ist Evolution ein aktiver, maßgeblich von den Individuen selbst angetriebener Vorgang. Auf Dauer werden auf diese Weise immer mehr ökologische (beziehungsweise ökonomische) Nischen besetzt.
Zum Erhalt ihrer Kompetenzen müssen die Individuen jedoch stets etwas tun, denn sie konkurrieren ja um Ressourcen mit anderen Individuen innerhalb und gegebenenfalls auch außerhalb ihrer Population. Stellen wir uns dazu eine Population aus 10 Individuen I(1) bis I(10) vor. Nehmen wir an, Individuum I(1) sei etwas besser an den Lebensraum angepasst als I(2) bis I(10). Wenn nun I(2) bis I(10) mehr in ihren Selbsterhalt investieren als I(1) (zum Beispiel durch Muskeltraining, Bildungsmaßnahmen, Karatekurse, Investitionen in die Forschung etc.) und auf diese Weise ihre Kompetenzen im Vergleich zu I(1) deutlich verbessern, dann könnte I(1) am Ende das am schlechtesten angepasste Individuum der Population sein. Möglicherweise hätte es nun größte Schwierigkeiten, eine ausreichende Menge an Ressourcen zu erlangen. Es würde auf diese Weise seinen Selbsterhalt gefährden.
Vorhandene Kompetenzen sind deshalb auch immer in Relation zu anderen Individuen zu sehen. Hohe Kompetenzen im Umgang mit der primären selektiven Umwelt können – ohne permanente Erneuerung und Verbesserung – morgen schon entwertet beziehungsweise veraltet sein, denn die Konkurrenz schläft ja nicht 83 . Es ist dieser gegenseitige Zwang zur permanenten Erneuerung und zum Hochrüsten in der Gruppe, der letztlich maßgeblich für Fortschritt und Evolution sorgt. Evolution bedarf also nicht unbedingt der ständigen Veränderung der primären selektiven Umwelt aller Individuen. Es reicht bereits, wenn sich die individuelle Umwelt der Individuen, zu der auch alle anderen Mitglieder der Population zählen, ändert.
Manchmal wird angemerkt, Individuen wollten sich schon von ganz allein verbessern. Dagegen spricht, dass Monopolmärkte in der Regel wenig innovativ sind, Wettbewerbsmärkte dagegen sehr wohl. Allerdings sind durchaus auch Szenarien vorstellbar, in denen selbst ein Monopolist durch eine Wettbewerbssituation in seinem Inneren (zum Beispiel unter seinen Mitarbeitern) zu innovativen Leistungen gebracht werden kann. Eine gewisse „Evolution“ ist deshalb unter bestimmten Voraussetzungen auch bei Populationen mit genau einem Individuum (das heißt, ohne Variation) denkbar, allerdings wohl kaum bei biologischen Populationen, die sich „blind“ durch genetische Mutationen und Rekombinationen anihre jeweilige primäre selektive Umwelt anzupassen versuchen, denn diese benötigen zwingend eine genetische Vielfalt beziehungsweise eine Variation unter ihren Individuen, um sich an ihrer Umwelt ausrichten zu können.
In der Regel dürften sich die Entwicklungsprozesse von Ein-Individuum-Populationen aber auf die fortlaufende Adaption an ihren Lebensraum beschränken. Evolution wäre dann nur noch gleichzusetzen mit Stillstand, und das entspräche nicht ganz dem Evolutionsgedanken.
Auf der anderen Seite dürfen aber die durch den permanenten Wandel des Lebensraums entstehenden gegenseitigen Anpassungszwänge in ihrer Bedeutung für die Evolution auch nicht unterschätzt werden. Beispielsweise könnte eine Population mit der Zeit gegen bestimmte ökologische Grenzen und Hindernisse laufen, die eventuell durch neue Innovationen und damit evolutiv noch einmal überwunden werden können (Neirynck 2006). Denn die Umwelt kann sich verändern, und Ressourcen können sich

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