Evolution, Zivilisation und Verschwendung
Arbeiten referenziert, was sich schon bald in verschiedenen Kennzahlen wie Impact Factor, Total Citations, Immediacy Index etc. niederschlagen wird. Auf diese Weise steigt dann mit der Zeit das Prestige des Autors (Voland 2007: 39). Im übertragenen Sinne könnte man die Wissenschaftskennzahlen auch als Pfauenaugen bezeichnen.
Daneben gibt es andere Wege und Möglichkeiten zur Erhöhung des Prestiges oder der Position innerhalb der wissenschaftlichen Dominanzhierarchie, zum Beispiel durch entsprechende Ausbildungsabschlüsse (Dr.-Titel, Habilitation), die Übernahme prestigeträchtiger Leitungspositionen innerhalb der Wissenschaftsindustrie, häufige mediale Präsenz oder das Verfassen weithin akzeptierter Lehrbücher. Und schließlich können in den verschiedenen Disziplinen meist noch einige Auszeichnungen erworben werden, von denen der Nobelpreis wohl der bekannteste sein dürfte.
Ein höheres Prestige innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft kann der Erschließung zusätzlicher Einnahmequellen, etwa in Form von externen Beratungs- oder Forschungsaufträgen, förderlich sein. In besonders gelagerten Fällen könnte sich hierdurch die gesamte Wissenschaftsdisziplin an fachfremden Interessen ausrichten, so dass entweder nur noch das erforscht wird, was den Interessen der Auftraggeber dient, oder nur noch Ergebnisse erzielt werden, die mit den Interessen der Geldgeber vereinbar sind. Im Folgenden soll deshalb einfachheitshalber angenommen werden, bei einer wissenschaftlichen Gemeinschaft handele es sich um eine Gruppe unabhängiger Forscher, deren primäres Ziel es ist, das Wissen innerhalb des eigenen Fachgebiets anzureichern und die dort anstehenden Probleme zu lösen.
Gemäß Thomas S. Kuhn ist – ich erwähnte es bereits – ein Paradigma ein Satz an Grundannahmen, der die Arbeit in der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft regiert.
Doch wie kann es unter solchen Verhältnissen überhaupt zu einem Paradigmenwechsel kommen? Ich möchte dies anhand eines Beispiels erläutern. Stellen wir uns vor, eine wissenschaftliche Gemeinschaft nehme allgemein an, die Evolution des Lebens erkläre sich dadurch, dass besser angepasste Individuen einer Population durchschnittlich mehr Nachkommen hinterlassen als andere. Dies wäre das gültige Paradigma. Und nun stellen wir uns vor, nach einer gewissen Zeit würde ein alternatives Paradigma vorgeschlagen, was besagt, dass es vor allem die den Individuen innewohnenden kompetenzneutralen Selbsterhaltungs- und Reproduktionsinteressen sind, die die Evolution des Lebens bewirken.
Die wichtigste Voraussetzung für eine Durchsetzung des neuen Paradigmas ist zunächst einmal, dass es in die dafür zuständige wissenschaftliche Gemeinschaft eingebracht wird. Eine Publikation bei Books on Demand oder eine Diskussion im Internet beziehungsweise unter Mathematikern würde ja nichts nützen, denn dann würde die wissenschaftliche Gemeinschaft mit konzentriertem Schweigen oder im günstigsten Fall mit diversen Totschlagargumenten („kein Biologe“, „gehört nicht zur Community“, „Ergebnisse sind umstritten“, „pseudowissenschaftlich“ etc.) reagieren. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Den betroffenen Wissenschaftlern geht es primär um den eigenen Selbsterhalt.
Im Folgenden sei deshalb einfachheitshalber angenommen, das neue Paradigma werde von einem Mitglied der für das Thema zuständigen wissenschaftlichen Gemeinschaft vorgeschlagen. Exakt in diesem Moment teilt sichdie Gemeinschaft in unterschiedlichen Paradigmen zugehörende Gruppen auf (Kuhn 1976: 191):
Ein Paradigma regiert zunächst nicht einen Gegenstandsbereich, sondern eine Gruppe von Fachleuten. Jede Untersuchung paradigma-gelenkter oder paradigma-zerstörender Forschung muss mit der Lokalisierung der verantwortlichen Gruppe oder Gruppen beginnen.
Gemäß Thomas S. Kuhn werden neue Paradigmen in erster Linie von Wissenschaftlern entwickelt, die entweder sehr jung oder relativ neu im betroffenen Sachgebiet sind, da sie dann noch nicht zu stark an die Regeln des alten Paradigmas gebunden sind (Kuhn 1976: 155):
Jede neue Auslegung der Natur, sei es eine Entdeckung oder eine Theorie, taucht zuerst im Geiste eines oder einiger weniger Individuen auf. Sie sind die ersten, die die Wissenschaft oder die Welt anders sehen lernen, und ihre Fähigkeit, den Übergang zu finden, wird durch zwei Umstände begünstigt, die für die meisten anderen Mitglieder ihres Fachgebiets nicht beide zutreffen. Stets war ihre
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