Evolution
miteinander
verbunden, die zum Teil eine Geschwindigkeit von hundert Kilometern
pro Tag erreichten. Die großen Strömungen waren wie
Fließbänder, die Treibgut rund um die Welt trugen. In
späteren Zeiten würden die Bewohner der Osterinseln
amerikanische Redwood-Baumstämme verbrennen, die nach einer
Reise von fünftausend Kilometern dort angelandet worden waren.
Die Bewohner der Korallenatolle mitten im Pazifik würden
Werkzeuge aus Steinen fertigen, die in den Wurzeln gestrandeter
Bäume eingeklemmt waren.
Und auf dem Treibgut reisten Tiere. Manche Insekten ließen
sich sogar auf dem Wasser selbst treiben. Andere Lebewesen schwammen:
Westliche Strömungen trugen die
Lederrücken-Schildkröten von ihren Futterplätzen nahe
der Insel Ascension zu den Brutplätzen in der Karibik.
Und manche Tiere trieben auf Flößen über den
Atlantik, wobei sie diese Seefahrt aber nicht bewusst und geplant
unternahmen, sondern wegen der Launen des Schicksals, die auch
Streuner zu spüren bekommen hatte.
Obwohl der Atlantik seit dem Auseinanderbrechen von Pangäa
sich ständig verbreitert hatte, war er noch viel schmaler als zu
Zeiten des Menschen: An der engsten Stelle war er nicht mehr als
fünfhundert Kilometer breit. Das war keine unüberwindliche
Entfernung – eine Überfahrt, die auch so zerbrechliche
Waldbewohner wie Streuner mit etwas Glück zu überstehen
vermochten. Solche Überquerungen waren zwar unwahrscheinlich,
aber dennoch möglich in Anbetracht der Schubwirkung der
mächtigen Ströme, der engen Meere und vielleicht noch mit
Hilfe der Sturmwinde.
In so großen zeitlichen Maßstäben, in
Zeiträumen von Jahrmillionen, überstieg das Wirken des
Zufalls das menschliche Vorstellungsvermögen. Die Menschen sind
mit einem subjektiven Risikobewusstsein und einer Einschätzung
von Wahrscheinlichkeiten ausgestattet, die für Lebewesen mit
einer Lebensspanne von einem Jahrhundert ausgelegt ist. Ereignisse,
die mit einer viel geringeren Häufigkeit eintreten – zum
Beispiel Asteroideneinschläge –, werden im menschlichen
Bewusstsein nicht in die Kategorie selten, sondern nie einsortiert. Aber die Einschläge geschahen dennoch und
wären einem Lebewesen mit einer Lebensspanne von beispielsweise
zehn Millionen Jahren gar nicht so unwahrscheinlich erschienen.
Im entsprechenden Zeitrahmen würden selbst so
unwahrscheinliche Ereignisse wie Meeresüberquerungen von Afrika
nach Südamerika unweigerlich stattfinden – immer wieder
– und das Schicksal des Lebens bestimmen.
Und so verhielt es sich auch jetzt. In den Bäumen, die
über Streuner aufragten, lebte kein einziger Primate – und
nicht einmal auf dem ganzen Kontinent. Ihre entfernten Verwandten,
andere Kinder von Purga, waren vor Millionen Jahren dem
Konkurrenzdruck der Nagetiere unterlegen und ausgestorben.
So entstand an diesem Ort, wo eine Welt untergegangen war und wo
unterschiedlich entwickelte Lebewesen durch unterschiedliche
Wälder streiften, neues Leben, eine neue Linie von Purgas
großer Familie. Von nur drei Überlebenden würde im
Lauf der Zeit und durch das langsame, plastische Fließen ihres
genetischen Materials ein ganzes Spektrum neuer Arten
ausstrahlen.
Nach allem Ermessen würden die Affen in der Neuen Welt sich
behaupten. Jedoch würden auf diesem dicht bevölkerten
Dschungelkontinent Streuners Nachkommen einen ganz anderen Weg
einschlagen als die Nachfahren ihrer Schwester in Afrika. Dort
würden die Primaten unter dem nachhaltigen Einfluss des sich
ändernden Klimas schnell neue Formen entwickeln. Dort würde
Purgas Linie über die Menschenaffen schließlich in den
Menschen münden. Selbst die späteren Affen, die Streuner so
ähnlich waren, würden aus dem Wald ausschwärmen und
sich Lebensräume in der Savanne, im Gebirge und sogar in der
Wüste erschließen.
Hier war das anders. Auf einem einheitlichen Kontinent war die
Versuchung zu groß, in den großen Regenwäldern zu
bleiben.
Streuners Kinder würden niemals von den Bäumen
herunterkommen. Sie würden auch nicht viel intelligenter werden,
als sie jetzt schon waren. Und sie würden auch keine Rolle
für das zukünftige Schicksal der Menschheit spielen, es sei
denn als Haustiere, Fleischlieferanten oder Objekte
wissenschaftlicher Neugier.
Doch all das lag noch weit in der Zukunft.
Streuner fühlte sich nach der kurzen Zeit im Wald und durch
das Wasser, das sie getrunken hatte, schon viel besser. Sie schaute
sich um. Im Unterholz sah sie einen roten Tupfer und stolperte in
diese
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