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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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ihn langsam
an.
    Dabei machte die Nahrung sie umso hungriger, weil ihr das Fett
fehlte, das für die richtige Verdauung notwendig gewesen
wäre. Dennoch kehrten die drei Überlebenden immer wieder
zur Leiche zurück, räumten die Bauchhöhle aus und
nagten das Fleisch von Gliedmaßen, Rippen, Becken und
Rücken ab. Schließlich waren nur noch verstreute Knochen
übrig – Knochen und ein Schädel mit Augäpfeln,
die noch immer in die Sonne starrten.
    Danach zogen die drei Anthros sich wieder in ihre Ecken
zurück. Wenn sie Menschen gewesen wären, hätten sie
nun – wo das Tabu, das Fleisch eines Artgenossen zu verzehren,
gebrochen war – grausame Kalkulationen angestellt. Noch ein
Toter hätte schließlich noch mehr Fleisch für die
Überlebenden bedeutet und zugleich die Anzahl derjenigen
verringert, mit denen man es teilen musste.
    Es war vielleicht eine Gnade, dass die Anthros nicht so weit zu
denken vermochten.

 
IV
     
     
    Das Floß ruckte unter ihr. Die Bewegung war zu heftig, um
vom trägen Wellengang des Meers verursacht worden zu sein. Aber
sie war zu erschöpft, um noch Neugier zu empfinden und blieb
reglos auf dem schwankenden Floß liegen. Äste pieksten ihr
in den ausgemergelten Körper.
    Sie verspürte ständig Schmerzen. Die Knochen
fühlten sich an, als ob sie die Haut durchstoßen wollten,
die nur noch ein einziges Geschwür war. Die ausgetrockneten
Lider vermochte sie kaum noch zu schließen. Die Erinnerung
glich einer mit optischen und akustischen Eindrücken
angefüllten Rumpelkammer: das Gefühl, wie die
kräftigen Finger ihrer Schwester sie kämmten, der vertraute
Geruch der warmen Muttermilch, die begehrlichen Schreie der
Männchen, die glaubten, sie können alle Weibchen haben. Und
dann wurden die süßen Träume von mächtigen
zuschnappenden Kiefern aus den Tiefen der Welt verschlungen…
    Sie verspürte wieder einen Ruck, und das trockene Holz
knarrte. Sie hörte das Geräusch sich brechender Wellen, das
sich vom monotonen Plätschern der offenen See deutlich
unterschied.
    Vögel kreischten über ihr.
    Sie schaute auf. Das waren die ersten Vögel, die sie sah,
seitdem sie ins Meer gespült worden war. Sie waren
schneeweiß und zogen hoch über ihr ihre Kreise.
    Etwas bewegte sich auf ihrer Brust. Es fühlte sich wie leicht
kratzende Finger an; vielleicht wollte jemand sie kämmen. Mit
einer Kraftanstrengung hob sie den Kopf. Er wackelte, und die
Kopfhaut spannte sich wie eine Maske. Die Zunge lag ihr wie ein
Holzpflock im Mund. Sie hatte Schwierigkeiten, die blutenden Augen zu
fokussieren.
    Etwas krabbelte über sie: ein flaches orangefarbenes Ding mit
vielen segmentierten Beinen und großen erhobenen Scheren. Sie
stieß ein leises, heiseres Winseln aus und wischte mit dem Arm
über die Brust. Die Krabbe verzog sich indigniert.
    Trotz der von der Sonne geschwärzten Nase roch sie etwas
Neues. Wasser. Nicht etwa die stinkende Brühe des Meers,
sondern frisches Wasser.
    Sie hob den Arm und zog an den Blättern. Sie war ein
körperliches Wrack. Die platzenden Blasen und reißenden
Narben verursachten höllische Schmerzen. Mit einer enormen
Anstrengung gelang es ihr, sich aufrecht hinzusetzen und die Beine zu
falten. Der Kopf wackelte haltlos auf dem Hals. Und es kostete sie
noch mehr Energie, den Kopf zu heben und die geschundenen Augen zu
benutzen.
    Grün.
    Sie sah Grün, einen dicken horizontalen Streifen, der sich
von einem Horizont zum andern zog. Es war das erste Grün, das
sie sah, seit die Blätter des Mangobaums sich zusammengerollt
und braun verfärbt hatten. Nach einer so langer Zeit von Blau
und Grau, mit nichts als Himmel und Wasser, erschien das Grün
strahlend hell, so hell, dass sie schier geblendet wurde – es
war wunderschön wie eine Verheißung. Schon der bloße
Anblick schien sie wieder zu beleben.
    Halb kriechend bewegte sie sich vorwärts. Das tote Laub des
Mangobaums piekste und ritzte sie, aber es verursachte keine Blutung,
nur Dutzende winziger Schmerzquellen.
    Sie erreichte den Rand des Floßes. Kein Meer, kein Wasser.
Sie sah einen schmalen grobkörnigen Sandstrand, der sich in
einer leichten Steigung zu einem lichten Wald hinaufzog. Leuchtend
blaue und orangefarbene Vögel flogen durch die Baumkronen und
trillerten lieblich.
    Ihren ersten Eindruck hätte man so zusammenzufassen vermocht: Ich bin wieder zuhause. Aber das war sie nicht.
    Sie zog sich über die Äste und fiel in den Sand. Er war
heiß, glühend heiß und brannte auf der nackten Haut.
Sie richtete

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