Evolution
einer tiefen Ebene als zutiefst
beunruhigend zu empfinden.
Es gab mehrere Ursachen für eine so starke Vermehrung. Die
Höhlenbauer waren Teil eines komplexen ökologischen
Kreislaufs der üppigen Natur, den Insekten, die von ihr lebten
und den Fleischfressern, die sich wiederum von Insekten
ernährten. In solchen Zeiten der Übervölkerung
schwärmten Höhlengräber vom Instinkt getrieben
über das grüne Land aus, um in leeren Gebieten neue
Höhlen zu graben. Viele von ihnen fielen Räubern zum Opfer,
aber das war der Lauf der Dinge – es überlebten immer noch
genug.
Jedenfalls war das bisher immer so abgelaufen. Wo das Eis jedoch
vorrückte und die Tundra schrumpfte, gab es keine
Rückzugsmöglichkeiten mehr als in die ohnehin schon
übervölkerten Gebiete. Deshalb wurden derartige
Ansammlungen und Kämpfe zum Dauerzustand.
Das war natürlich schlecht für das Mutta, das diese Eier
gelegt hatte. Die Muttas hatten die Eier auf dem Erdboden
ausgebrütet, wie ihre Vorfahren es schon getan hatten. Jedoch
wurden sie dadurch verwundbar für Räuber wie die
Höhlengräber. Die Hauptursache für den Niedergang der
Muttas war die zunehmende Konkurrenz um das Protein, das in ihren
Eiern enthalten war. Große Pflanzen fressende Säugetiere
wie Mammuts und Karibus hätten bessere Chancen gehabt, weil ihre
Jungen in dieser entscheidenden Phase ihres Lebens sicherer waren.
Aber die Muttas, die wie die anderen hier gestrandet waren, nachdem
Antarktika von den anderen Kontinenten weggedriftet war, hatten in
dieser Hinsicht keine Wahl.
Plötzlich stieß eine Klaue vom Himmel herab. Mit einem
in über zweihundert Millionen Jahren geschärften Instinkt
presste Graben sich an den Boden, während die
Höhlengräber quiekend durcheinander liefen.
Die Klaue schnappte sich einen kleinen, halbwüchsigen
Höhlengräber und steckte ihn in einen aufgerissenen Mund.
Erneut zischte die Klaue durch die Luft. Diesmal griff sie jedoch ins
Leere, denn die Säugetiere hatten sich bereits zerstreut. Und
nach einer Weile hörte Graben unverkennbare
Schmatzgeräusche, als ein Zackenschnabel ein Mutta-Embryo nach
dem andern zerquetschte.
Dieser Räuber war eine Leaellynasaura. Er war ein
Dinosaurier, der die Gestalt eines athletischen Huhns hatte. Die
Leaellynasaurae vermochten keine großen Beutetiere zu jagen und
betätigten sich deshalb als Aasfresser. Für diese
Leaellynasaura wie für die Säugetiere war ein Mutta-Ei in
dieser vorgerückten Zeit des Jahres eine seltene
Delikatesse.
Während die Leaellynasaura fraß, versuchte Graben sich
ganz ruhig zu verhalten, um nicht die Aufmerksamkeit des Killers zu
erregen. Aber sie hatte Hunger. Es war nur ein kurzer, unergiebiger
Sommer gewesen, und sie hatte nicht genug Fett anzusetzen vermocht,
um die Widrigkeiten des Winters zu überstehen. Und nun
fraß die Leaellynasaura die Eier – all ihre Eier.
Zorn und Verzweiflung gewannen schließlich die Oberhand
über die Vorsicht. Sie stellte sich auf die Hinterbeine und
zischte mit ausgebreiteten Pfoten.
Die Leaellynasaura, deren Mund mit Blut und Dotter verschmiert
war, zuckte beim Anblick dieser Erscheinung erschrocken zurück.
Doch dann sagte das kleine Reptilien-Bewusstsein ihr, dass dieses
Ding keine Gefahr für eine Leaellynasaura bedeutete. Ganz im
Gegenteil – dieses warme Fellknäuel war trotz der
ungewöhnlichen Pose ein leckerer Happen, besser als Embryos und
Eigelb.
Die Leaellynasaura öffnete den Mund und setzte zum Sprung
an.
Graben ergriff die Flucht. Das Nest war verloren, und der Hunger
wühlte in ihren Eingeweiden.
Graben stammte in direkter Linie von Plesi ab, dem kleinen
Carpolestiden, der ein paar Millionen Jahre nach dem Einschlag des
Teufelsschweifs die sich erwärmende Welt bewohnt hatte. Plesis
Nachkommen hatten sich über den ganzen Planeten ausgebreitet und
waren über Landbrücken, Inseln und mit Flößen
von einem Inselkontinent zum andern gewandert. Ein Zweig der alten
Familie hatte zu einer Zeit, da der südlichste Kontinent sich
noch nicht über dem Pol zentriert hatte, eine Landbrücke
zwischen Südamerika und Antarktika überquert.
Und hier waren sie auf Dinosaurier gestoßen.
Selbst in der warmen Kreidezeit hatten die Dinosaurier von
Antarktika die langen Monate der Polarnacht aushalten müssen.
Deshalb hatten diese Überlebenden, die die globale Katastrophe
überstanden hatten, auch den anschließenden Kometen-Winter
gut überstanden, während ihre Zeitgenossen in den
wärmeren Breiten untergegangen
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