Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Ankunft der Menschenaffen leer zu machen. Sie
schwärmten sogar ins Grasland aus und ernährten sich von
den nussartigen Samen, die es dort gab. Für die Menschenaffen
waren die Affen eine genauso harte Konkurrenz, wie die Nagetiere
immer gewesen waren.
    Hoch über Capos Kopf bewegte sich eine schlanke Gestalt
elegant von Ast zu Ast. Es war ein Gibbon. Er schwang sich durch die
Baumwipfel und nutzte den Körper als Pendel, um kinetische
Energie zu speichern. Dazu pendelte er wie ein Kind auf der Schaukel
mit den Beinen, um die Geschwindigkeit zu erhöhen.
    Der Körper des Gibbons war eine Art Sonderausführung des
›Langarm-Flachbrust‹-Designs der Menschenaffen. Die
Kugelgelenke von Schulter und Handgelenk hatten einen so hohen
Freiheitsgrad, dass der Gibbon an den Armen hängend den
Körper im Vollkreis zu drehen imstande war. Mit dem geringen
Gewicht und der extremen Beweglichkeit vermochte der Gibbon an den
äußersten Ästen der höchsten Bäume zu
hängen und die Früchte zu erreichen, die sich an den
dünnsten Zweigen befanden – und war zugleich vor den
Räubern sicher, die auf Bäume kletterten. Durch die
Fähigkeit, kopfüber von den Ästen zu hängen,
gelangte der Gibbon sogar an Leckereien außerhalb der
Reichweite von Menschenaffen, die zu schwer waren, um in solche
Höhen zu klettern – und die sogar dem Zugriff der Affen
entzogen waren, die nämlich nur auf den Ästen
entlangliefen.
    Capo schaute zum Gibbon empor. Er beneidete ihn um die Eleganz,
Geschwindigkeit und Körperbeherrschung, die er nie erlangen
würde. Doch so großartig der Gibbon auch war – er war
nicht etwa die Krone der Menschenaffen, sondern ein
›Auslaufmodell‹, das den Konkurrenzkampf mit den Affen
verloren hatte und dazu verurteilt war, sein Dasein in
ökologischen Nischen zu fristen.
    Enttäuscht und hungrig ging Capo weiter.
     
    Schließlich stieß Capo auf eine andere Quelle seiner
Leibspeisen, eine Gruppe Ölpalmen. Die Nüsse dieser
Bäume hatten ein nahrhaftes, öliges Fleisch, das allerdings
von einer besonders harten Schale umschlossen wurde. Damit war es dem
Zugriff der meisten Tiere entzogen, sogar für die geschickten
Finger der Affen. Nicht aber für Menschenaffen.
    Capo ließ ein paar Dutzend Nüsse auf den Boden fallen,
dann stieg er hinab. Er sammelte die Nüsse ein, trug sie zu
einer ganz bestimmten Akazie und versteckte sie unter einem Haufen
getrockneter Palmwedel.
    Dann arbeitete er sich zum Waldrand vor, wo er seine Hammer-Steine
gelagert hatte. Dabei handelte es sich um Kieselsteine, die
formschlüssig in der Hand lagen. Er suchte sich einen aus und
ging zum Nuss-Depot zurück.
    Auf dem Rückweg kam er an der halbwüchsigen Heulen
vorbei. Er spielte kurz mit dem Gedanken, sich wieder mit ihr zu
paaren, doch wenn Capo sich einmal am Tag einem Weibchen widmete, war
das Gunstbeweis genug.
    Zumal ein Kind bei ihr war, ein merkwürdig aussehendes
Männchen mit einer auffallend verlängerten Unterlippe:
Elefant. Er war einer von Capos Söhnen. Er saß auf dem
Boden und hielt sich laut stöhnend den Bauch. Vielleicht hatte
er einen Wurm oder einen anderen Parasiten. Heulen stöhnte mit
ihm, als ob der Schmerz sich auch auf ihren Körper
übertragen hätte. Sie riss schnell Blätter ab und
veranlasste das Junge, sie zu schlucken; das Laub enthielt
Substanzen, die Parasiten austrieben.
    Und dann erblickte er Finger und Wedel, die über den
Waldboden schlichen. Capo hatte den Eindruck, dass die jungen
Männchen etwas im Schilde führten. Und dann wurde er sich
zornig bewusst, dass sie es auf seinen Laubhaufen abgesehen
hatten.
    Capo zügelte seine Ungeduld. Er setzte sich unter einen Baum,
ließ den Hammer-Stein fallen und säuberte methodisch die
Zwischenräume zwischen den Zehen. Er wusste, wenn er die
Palmnüsse zu erreichen versuchte, würden die anderen eher
da sein und sie klauen. Indem er sich nun mit seinen Füßen
beschäftigte, machte er Wedel und Finger glauben, dass dort gar
keine Nüsse versteckt seien.
    Anders als Streuner vermochte Capo die Absichten von anderen zu
erkennen. Und Capo wusste auch, dass seine Artgenossen wahrscheinlich
andere Prämissen hatten als er und dass er mit seinen Handlungen
die Prämissen anderer zu ändern vermochte. Es war eine
Fähigkeit, die sogar ein begrenztes Maß an Empathie
ermöglichte: Heulen hatte das Leid von Elefant wirklich geteilt.
Aber sie ermöglichte auch raffinierte Methoden der
Täuschung und des Verrats. Er war in gewisser Weise imstande,
Gedanken zu

Weitere Kostenlose Bücher