Evolution
Durch die neue, senkrecht ausgelegte
Knochenstruktur und das Gleichgewichtssystem hatte Capo schon die
Anlagen zum aufrechten Gang. Manchmal versuchte er das auch schon auf
einem Baum. Er hielt sich an Ästen fest, um das Gleichgewicht zu
wahren und griff nach den höchsten Früchten. Und manchmal
richtete seine Art sich auch im Freien auf, wie Wedel demonstriert
hatte.
Durch die körperliche Umformung waren die Menschenaffen
zugleich intelligenter geworden.
In diesen tropischen Gefilden trugen die Bäume selten
gleichzeitig Früchte. Und wenn man einen Früchte tragenden
Baum fand, musste man unter Umständen weit gehen, bis man zum
nächsten gelangte. Deshalb mussten die Menschenaffen einen
großen Teil des Tags darauf verwenden, nach den verstreuten
Nahrungsquellen zu suchen. Sie gingen allein oder in kleinen Gruppen
und sammelten sich dann wieder, um in den Nestern in den Baumkronen
zu schlafen. Diese grundlegende Architektur der Nahrungssuche hatte
ihr soziales Leben geprägt. Einmal mussten sie mit der Umwelt
sehr vertraut sein, wenn sie die Nahrung finden wollten, die sie
benötigten.
Und in Anbetracht ihrer Lebensweise waren die Bindungen unter
ihnen lose. Sie lebten in ständig wechselnden Verbänden und
gingen besondere Beziehungen zu anderen Mitgliedern der Gemeinschaft
ein, auch wenn sie sich vielleicht wochenlang nicht sahen. Um sich in
einer vielschichtigen, variablen und komplexen Gesellschaft zu
orientieren, bedurfte es einer zunehmenden Intelligenz. Wie die
Menschenaffen mit ihren Beziehungen jonglierten, erinnerte das an
eine Seifenoper – aber es war ein sozialer Mahlstrom, der das
sich entwickelnde Bewusstsein schulte.
Nach der richtungweisenden Spaltung der archaischen
Anthropoiden-Familie in Menschenaffen und Affen hatten die
Menschenaffen sich zu den dominierenden Primaten der Alten Welt
entwickelt. Obwohl die schrumpfenden Klimazonen sie in die mittleren
Breiten verwiesen hatten, fanden sie reichlich Platz in einem
durchgehenden Waldgürtel, der sich um ganz Afrika spannte und
sich von China über Eurasien zur Iberischen Halbinsel
erstreckte. In diesem grünen Korridor waren die Menschenaffen
aus Afrika eingewandert und hatten sich über die Wälder der
Alten Welt verbreitet – sie hatten die Proboscidea auf ihrer
Wanderung sozusagen begleitet.
Auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung gab es über sechzig
Menschenaffen-Spezies. Was ihre Körpergröße betraf,
hatten sie zwischen einer Katze und einem jungen Elefanten rangiert.
Die größten, wie die Riesen, waren Laubesser, die
mittelgroßen – wie Capo – lebten von Früchten,
und die kleinsten unter einem Kilo oder so waren wie ihre entfernten
Vorfahren Insektenfresser: Je kleiner das Tier, desto schneller ist
sein Stoffwechsel und desto höhere Ansprüche stellt es an
die Qualität der Nahrung. Aber es gab Platz für alle. Es
war ein Zeitalter der Menschenaffen gewesen, ein mächtiges
anthropoides Reich.
Leider hatte es nicht allzu lang Bestand.
Durch die anhaltende Abkühlung und Austrocknung der Erde
waren die einst breiten Waldgürtel zu isolierten Inseln
geschrumpft. Durch die gekappten Wald-Verbindungen zwischen Afrika
und Eurasien waren die asiatischen Menschenaffen-Populationen
isoliert worden. Sie würden sich unabhängig von den
Ereignissen in Afrika zum Orang-Utan und seinen Verwandten
entwickeln. Die geschrumpften Lebensräume hatten eine Abnahme
der Populationen bedingt. Die meisten Menschenaffen-Spezies waren bereits ausgestorben.
Und dann war ein neuer Konkurrent auf den Plan getreten.
Capo gelangte zum Blätterdickicht einer Akazie, von der er
wusste, dass sie besonders eifrig Blüten trieb. Jedoch stellte
er fest, dass die Äste bereits geplündert waren. Er schob
sie auseinander und schaute in ein kleines, erschrockenes schwarzes
Gesicht mit einem weißen Fellrand und einem grauen Wuschel auf
dem Kopf. Es war ein Affe – wie eine Meerkatze –, dem Saft
aus dem Mund tropfte. Er schaute Capo an, kreischte und verschwand
blitzartig, ehe Capo zu reagieren vermochte.
Er ruhte sich für eine Weile aus und kratzte sich
nachdenklich an der Backe.
Affen waren eine Plage. Ihr großer Vorteil war nämlich,
dass sie unreife Früchte zu fressen vermochten. Ihr Körper
produzierte ein Enzym, das die giftigen Chemikalien neutralisierte,
mit denen die Bäume die Früchte schützten, bis die
Samen keimfähig waren. Die Menschenaffen hatten dem nichts
entgegenzusetzen. Daher waren die Affen in der Lage, die Bäume
schon vor der
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