Evolution
sich träge
durch die Ebene. Die Ufer wurden von Flutebenen gesäumt, bei
denen es sich zum Teil um Marschen und stehende Gewässer
handelte. Das Land war wie ein voll gesogener Schwamm, aus dem das
Wasser heraus quoll. Die Bäume starben zum Teil schon ab, und
die Wurzeln wurden von Wasser umspült. Die Überreste des
Waldes, der durch die stetige Abkühlung und die zunehmende
Trockenheit ohnehin schon geschrumpft war, soffen ab.
Diese aufgeweichte Ebene erstreckte sich nach Norden, so weit
Capos Auge reichte. Doch im Süden stieg das Land zu einem hohen
Gebirgszug mit einer Kerbe an, durch die dieser mächtige Fluss
strömte. Diesem Höhenzug war eine öde Ebene mit
großen knochenweißen Salzseen vorgelagert, in denen zum
Teil Tümpel standen.
Im Norden ertönte ein Bellen, und Capo drehte sich um. Die
Tiere der Ebene gingen ihren Verrichtungen nach. In der Ferne sah
Capo etwas, das wie eine Herde übergroßer Wildschweine
aussah, die das lange Gras abweideten. Mit den geduckten grau-braunen
Körpern sahen sie aus wie große Schnecken. Sie waren aber
weder Schweine noch Nilpferde, sondern Anthracotheria, Relikte
längst vergangener Zeiten.
Zwei mächtige Chalicotheria arbeiteten sich langsam über
die Ebene vor und zupften mit den großen Tatzen an
Büschen. Sie pflückten nur frische Triebe ab und steckten
sie sich wie Pandas in den Mund. Das größere Tier, das
Männchen, hatte eine Schulterhöhe von fast drei Metern. Sie
hatten massige Körper und stämmige Hinterbeine, doch die
Vorderbeine waren lang und erstaunlich grazil. Wegen der langen
Krallen vermochten sie mit den Vorderfüßen aber nicht auf
dem Boden aufzutreten und gingen stattdessen auf den Knöcheln.
Sie sahen aus wie große kurzhaarige Gorillas, doch die
Köpfe waren die von Pferden. Diese urtümlichen Kreaturen
waren Verwandte der Pferde. Früher waren sie weit verbreitet
gewesen, doch nun wurden die Sträucher, von denen sie sich
ernährten, immer rarer. Diese Spezies war die letzte Art der
Chalicotheria.
In der Nähe hörten die Menschenaffen ein stetiges lautes
Rascheln. Vorsichtig lugten sie zwischen den Bäumen hindurch.
Eine Familie einer Art Elefanten machte sich an den Bäumen am
Waldrand zu schaffen. Mit dem Rüssel brachen sie Äste ab
und stopften sie sich ins Maul. Die mächtigen Tiere waren
Gomphotheria. Sie hatten vier Stoßzähne, wobei jeweils ein
Paar aus dem Ober- und Unterkiefer ragte. Mit der Bestückung
erinnerten ihre Gesichter an Gabelstapler.
Die Rufe der Gomphotheria trugen weit in der Morgenluft und
hallten bis tief in den Infraschallbereich wider. Es waren
unheimliche Laute. Diese speziellen Proboscidea waren Allesfresser.
Sie waren kaum leichtfüßige Jäger, aber einem Fleisch
fressenden Elefanten ging man trotzdem besser aus dem Weg.
Just in diesem Moment trat Wedel, das dürre Männchen,
aus dem Schatten des Waldes hinaus ins lange Gras, das ihm bis zu den
Schultern reichte. Das Gras wogte um ihn herum, und in der Brise
pflanzten die Wellen sich über die weiten Felder fort.
Zögernd richtete Wedel sich auf. Für einen Moment stand
er aufrecht da und schaute eine Welt außerhalb der Reichweite
der Primaten – hinaus in eine grüne Leere, in der Tiere
wanderten und Antilopen, Elefanten und Chalicotheria das im
Überfluss vorhandene Gras abweideten.
Dann bekam er doch Angst vor der eigenen Courage, ließ sich
wieder auf alle viere fallen und huschte in den schattigen Wald
zurück.
Capo versetzte ihm einen derben Schlag auf den Kopf, weil er ein
solches Risiko eingegangen war und führte die Sippe wieder in
den Wald zurück.
Capo schwang sich auf der Suche nach Früchten und Blüten
auf einen Akazienbaum. Capo erklomm ihn schnell. Er wandte einen
gleitenden Stil an, bei dem er sich mit den Armen hochzog und mit den
Füßen den Baumstamm umklammerte, um sich
abzustützen.
Das war eine Leistung, zu der Streuner nicht imstande gewesen
wäre – oder irgendein anderer Affe. Menschenaffen wie Capo
hatten eine flache Brust, kurze Beine und lange Arme. Indem die
Schulterblätter in den Rücken gewandert waren, hatten sie
eine größere Beweglichkeit erlangt, die es Capo
ermöglichte, mit den Händen über den Kopf zu greifen.
Diese Ausstattung war erforderlich, um auf Bäume zu klettern. Wo
Streuner den größten Teil des Lebens Äste
entlanggelaufen war, war Capo ein Kletterer.
Und diese Neukonstruktion zum Klettern hatte noch einen
Nebeneffekt, der in Capos langem, schlankem Körper
augenfällig wurde.
Weitere Kostenlose Bücher