Evolution
nicht
verschmähten, wenn welches verfügbar war. Die Männchen
machten geräuschvoll Mätzchen und maßen die
Kräfte. Die Weibchen verhielten sich ruhiger. Die Babys blieben
bei ihren Müttern, doch die größeren Kinder tollten
auch schon umher und balgten sich.
Auf den endlosen Streifzügen durch den Wald bewährte
sich die Freundschaft der Weibchen. In Wirklichkeit waren
nämlich die Weibchen das Fundament von Capos Gesellschaft. Die
Weibchen bildeten Verwandtschafts-Gruppen und teilten miteinander die
Nahrung, die sie fanden. In genetischer Hinsicht war das eine
sinnvolle Praxis, denn die Tanten, Nichten und Schwestern hatten das
gleiche Erbe. Und was die Männchen betraf, so gingen die
überallhin, wohin auch die Weibchen gingen. Die
Rangordnungskämpfe waren eine Art Show-Element, mit denen sie im
Grunde keinen Beitrag für die Sippe leisteten.
Mit dem feuchten Penis, angenehm schmerzenden Fäusten und der
Aussicht, bald etwas in den Magen zu bekommen, hätte Capo der
glücklichste Affe auf der Welt sein müssen. Es war ein
gutes Leben hier draußen im Wald. Und für Capo, den
Rudelführer, konnte es kaum besser kommen. Trotzdem
verspürte er noch immer ein leichtes Unbehagen.
Und Capos Stimmung hellte sich nicht auf, zumal die
Nahrungsausbeute an diesem Morgen mager war. Sie mussten
weiterziehen.
Im Wald begegneten sie anderen Tieren. Es gab Okapis –
Giraffen mit kurzen Hälsen –, Zwergnilpferde und kleine
Wald-Rüsseltiere. Es war eine alte Fauna, die sich in den Schutz
des Waldes geflüchtet hatte. Und es gab auch noch andere
Primaten. Sie kamen an einem Paar Riesen vorbei: mächtige,
breitschultrige und silberhaarige Geschöpfe, die
unverrückbar auf dem Boden saßen und sich von den
Blättern ernährten, die sie von den Bäumen
pflückten.
Sie waren wie die Dickbäuche aus Streuners Tagen. Capos
Vorfahren hatten ein neues Gebiss entwickelt, um die aus
Früchten bestehende Nahrung besser zu zerkleinern: Capo hatte
große Schneidezähne, um kraftvoll in Früchte zu
beißen, dafür aber kleine Mahlzähne. Das Gebiss
dieser Pflanzenfresser war entgegengesetzt aufgebaut; Laub musste
nicht großartig abgebissen, sondern gut zerkaut werden. Diese
großen Tiere, die eng mit den Gigantopithecinen Asiens verwandt
waren, wogen eine Tonne und gehörten zu den größten
Primaten aller Zeiten. Aber die Riesen waren schon selten in
Afrika.
Sie waren keine direkten Konkurrenten von Capos Sippe, denn die
vermochte sich nicht von Blättern zu ernähren, weil ihnen
die großen fermentierenden Mehrkammer-Mägen der Riesen
fehlten. Dennoch missfiel es Capo, dass er einen Umweg machen musste,
um diesen stummen und geduldigen, wie Statuen dasitzenden Kreaturen
aus dem Weg zu gehen. Weil er andererseits auch nicht das Gesicht
verlieren wollte, ging Capo auf den Knöcheln zum
größeren der Riesen, einem Männchen, hin und warf
sich in eine herausfordernde Pose. Er lief mit gesträubtem Fell
im Kreis herum und trommelte auf den Boden. Der Pflanzenfresser
schaute teilnahmslos und gelangweilt zu. Selbst im Sitzen
überragte er Capo noch.
Nachdem er seine Ehre wiederhergestellt hatte, trollte Capo
sich.
Es dauerte nicht lang, bis der morgendliche Marsch ein Ende fand
und die Sippe aus dem Wald hinaustrat.
Und hier war auch der Grund von Capos Unbehagen. Dieses
schrumpfende, halb überflutete Waldgebiet war keine so lauschige
Heimat mehr, wie sie einmal gewesen war. Es war im Grunde nur noch
eine Insel in einer offenen, weiten Welt.
Er schaute zwischen den Bäumen hindurch und warf einen Blick
auf diese Welt, die sich gerade aus der nebligen Morgendämmerung
schälte.
Dieses Waldgebiet lag mitten in einer weiten funkelnden Ebene. Es
war eine Art Parklandschaft mit einer Mischung aus offenen
grünen Flächen und Wäldchen. Der Wald bestand zum
größten Teil aus Palmen und Akazien, aber es gab auch
Mischwald mit Koniferen und Laubbäumen: Walnuss, Eiche, Ulme,
Birke und Wacholder.
Was Streuner, Capos Urahnin, jedoch am meisten erstaunt
hätte, wäre die Beschaffenheit des Bodenbewuchses gewesen,
der sich über diese offenen grünen Flächen erstreckte.
Es war Gras: ein robustes und widerstandsfähiges Gewächs,
das sich nun in einem langsamen Triumphzug über die ganze Welt
ausbreitete.
Und in der Ebene wimmelte es nur so von Seen, Teichen und
Feuchtgebieten. Überall wallte Nebel auf, als die Wärme der
Morgensonne die Luft mit Feuchtigkeit sättigte. Ein großer
Fluss, der im südlichen Hochland entsprang, wand
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