Evolution
und Gefahr dieses großen wilden
Tiers neu abschätzen wollten, das sie in ihren Wald gebracht
hatten.
Und dann fletschte einer von ihnen die Zähne und kam auf sie
zu.
Sie stand mühsam auf und rannte tiefer in den finsteren Wald
hinein.
Sie stieß gegen Bäume, verfing sich mit den Beinen in
Lianen und Wurzeln und brach durch regelrechte Astverhaue. Ihre
langen Beine und die kraftvolle Lunge, ausgelegt für einen
stundenlangen Lauf über flaches, offenes Gelände, waren in
diesem dichten Wald so gut wie nutzlos, in dem sie bei jedem Schritt
über irgendetwas stolperte.
Und die Pithecinen verfolgten sie wie Schemen; sie schnatterten,
schrien, erklommen Bäume und liefen auf den Ästen entlang
und sprangen von Baum zu Baum. Im Gegensatz zu Weit waren sie hier in
ihrem Element. Als Weits Art auf die Savanne hinausgetreten war,
hatte sie dem Wald den Rücken gekehrt. Und der hatte sich, als
ob er sich für diese Schmach rächen wollte, aus einem Hort
der Zuflucht in einen Ort der Gefahren und Beklemmung verwandelt
– bevölkert von diesen Pithecinen, die, wie die
Waldgeister, denen sie ähnelten, zukünftigen Generationen
Albträume bescheren würden.
Bald hatten die Pithecinen sie auf beiden Seiten überholt und
umzingelten sie.
Plötzlich stolperte sie auf eine von Dämmerlicht
erhellte Lichtung – und ein neues Ungeheuer ragte bellend vor
ihr auf. Sie quiekte und warf sich flach auf den Boden.
Für einen Moment stand das Ungeheuer über Weit. Hinter
ihm saßen kompakte Gestalten mit breiten Gesichtern, die sie
ihr zugewandt hatten und mit denen sie sie teilnahmslos anschauten.
Mächtige Kiefer mahlten.
Das Ungeheuer war auch ein Hominide: ein Pithecine mit einem
robusten Körperbau. Dieses große Männchen mit einem
ballonartig aufgeblähten Bauch war größer und viel
stärker als die grazilen Gestalten, die sie verfolgten. Auch
wenn er auf zwei Beinen stand, glich seine Statur mit dem schräg
abfallenden Rücken, den langen Armen und krummen Beinen eher der
eines Menschenaffen. Der Kopf hatte eine geradezu extravagante Form
mit hohen Wangenknochen, einem großen Mund mit verschlissenen
Zahnstummeln und einem Knochenkamm, der sich über die ganze
Länge des Schädels zog.
Weit war erschöpft und die blutende Schulter schmerzte. Sie
rollte sich in Erwartung der auf sie hernieder sausenden riesigen
Fäuste auf dem Boden zusammen. Aber der Schlag kam nicht.
Die stämmigen Kreaturen, die hinter dem großen
Männchen auf dem Boden saßen, rückten etwas enger
zusammen. Es waren Weibchen mit schweren Brüsten über
dicken Bäuchen, und während sie Weit anstarrten, zogen sie
ihre pummeligen Kinder an sich. Aber Weit sah, dass sie sitzen
blieben und Nahrung zu sich nahmen. Ein Weibchen nahm eine harte Nuss
– so hart, dass Weit sie nur mit einem Stein zu knacken vermocht
hätte –, klemmte sie zwischen die Zähne, drückte
mit der Hand von unten gegen den Kiefer und knackte sie. Dann
verspeiste sie die Nuss mitsamt der Schale.
Und nun kamen die dürren Pithecinen auf die Lichtung
gestürmt. Beim Anblick von Dickbauch blieben sie abrupt stehen
und fielen übereinander wie Clowns. Dann warfen sie sich in
Pose, stolzierten mit gesträubtem Fell auf und ab, schlugen auf
den Boden und schleuderten Zweige und Brocken getrockneten Kots gegen
den neuen Gegner.
Dickbauch reagierte mit einem Grollen. Dieser Gorilla-Mensch war
eigentlich ein Pflanzenfresser, der wegen der schlechten
Qualität seiner Nahrung die meiste Zeit des Tages stillsitzen
musste, während der große Magen sich mit der Verdauung der
Nahrung abmühte. Trotzdem hatte dieser große Primitivling
mit den Zahnstümpfen, dem muskulösen Körper und dem
kauernden Harem eine mehr einschüchternde Wirkung als die
mickrigen Pithecinen. Er ließ sich mit einem lauten Schlag auf
alle viere fallen, bei dem der Boden zu erbeben schien und der
mächtige Bauch wackelte. Dann ging er seinerseits mit
gesträubtem Fell vor seinem kleinen Revier auf und ab und
brüllte die unverschämten Zwerge an.
Die Pithecinen wichen frustriert schreiend zurück.
Weit raffte sich auf und lief noch tiefer in den nicht enden
wollenden Wald hinein. Diesmal wurde sie aber nicht verfolgt.
Sie sah die Sonne nicht, jedenfalls nicht direkt; sie sah nur ein
grünes gesprenkeltes Licht, das ihr den Weg wies. Sie wusste
nicht, wie lang sie schon durch den Wald lief und wie weit sie
gekommen war. Der tiefe Schnitt in der Schulter war mittlerweile
verkrustet, aber sie verlor noch immer
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