Evolution
mit dem großen Blut- und
Energiebedarf sich bei den Gorilla-Leuten zurückgebildet.
Obwohl der Gorilla-Mann über allzeit bereite Weibchen
verfügte, hatte er nur kleine Hoden. Im Gegensatz zu ihm mussten
die dürren Pithecinen-Männer sich möglichst oft mit
möglichst vielen Frauen paaren und benötigten die
großen pendelförmigen Hoden, die sie gern
präsentierten, um ganze Ströme von Sperma zu
produzieren.
Innerhalb dieser beiden grundlegenden Pithecinen-Arten, den
grazilen Schimpansen-Leuten und dem robusten Gorilla-Typ gab es noch
viele Varianten. Manche perfektionierten den aufrechten Gang. Manche
verabschiedeten sich wieder von ihm. Manche ›Schimmis‹
waren intelligenter als andere, und manche Gorilla-Leute waren
dümmer als der Rest. Es gab Schimmis, die primitiveres Werkzeug
benutzten als Capo und Gorilla-Arten, die Werkzeuge verwendeten, die
noch besser waren als die feinen Steinklingen der Pithecinen. Es gab
Große und Kleine, Sesshafte und Läufer, Zwerge und Riesen,
schlanke Allesfresser und reine Pflanzenfresser. Es gab
Geschöpfe mit vorspringenden Gesichtern wie Schimpansen und
andere mit senkrecht abfallenden Gesichtern und fein ziselierten
Gesichtszügen, die fast schon wie richtige Menschen aussahen.
Und es fand eine intensive Vermischung zwischen den Arten statt,
woraus wiederum viele Unterarten und Hybride hervorgingen – das
volle Spektrum menschlicher Möglichkeiten.
Als die verblüfften Paläontologen der Zukunft diese
Vielfalt aus fragmentarischen Fossilien und Steinwerkzeug zu
rekonstruieren versuchten, ersannen sie weit verzweigte
Stammbäume und Nomenklaturen und benannten die imaginierten
Spezies als Kenyanthropus platypos, oder Orrorin tugenenis,
Australopithecus garhi, africanus, afarensis, bahrelghazali,
anamensis oder Ardipithecus ramidus, oder Paranthropus
robustus, boisei, aethiopicus, oder Homo habilis… Doch nur wenige dieser Namen entsprachen der Realität. Zumal
die Grenzen zwischen den solcherart kategorisierten Geschöpfen
fließend waren. Draußen in der wirklichen Welt spielten
solche Etiketten natürlich keine Rolle; es gab nur Individuen,
die ums Überleben kämpften und ihren Nachwuchs aufzogen,
wie sie es seit alters her getan hatten.
Die meisten dieser vielen Arten würden sich in der Zeit
verlieren und ihre Gebeine vom gefräßigen Grün des
Waldes verschlungen werden. Kein Mensch würde je erfahren, wie
es war, in einer solchen Welt zu leben, in der so viele Arten von
Vormenschen sich tummelten. Es war ein blubberndes evolutionäres
Ferment, in dem viele Varianten aus einem grundlegend neuen,
erfolgreichen Bauplan entsprangen.
Jedoch hatte keine dieser Myriaden Arten eine Zukunft, weil all
diese Affen-Menschen sich an den Wald klammerten. Ihre Finger und
Zehen blieben lang, und die Beine waren ein Kompromiss zwischen dem
auf Knöcheln gehenden Baum-Kletterer und dem Zweibeiner. Am
Abend bauten sie in den Baumkronen Nester, wie ihre im Wald lebenden
Vorfahren es getan hatten. Und ihr Gehirn war auch nicht wesentlich
größer geworden als das von Capo und ihren Verwandten, den
urzeitlichen Schimpansen, weil sie mit der minderwertigen Nahrung
kein größeres Gehirn zu unterstützen vermochten.
Vier Millionen Jahre lang waren die Pithecinen ein weit
verzweigter, vielgestaltiger und sehr erfolgreicher Stamm der
Hominiden-Familie. Am Anfang waren die Affen-Menschen auch die
einzigen Hominiden auf der Welt gewesen. Jedoch war ihre Zeit der
bedeutenden Veränderungen schon vorüber. Sie waren der
Versuchung durch den Schutz und die Sicherheit des Waldes erlegen,
und dadurch hatten sie sich selbst vieler Möglichkeiten beraubt.
Die Zukunft gehörte einem anderen Stamm von Hominiden –
auch Abkömmlinge des Pithecinen-Stamms –, die im Gegensatz
zu den Pithecinen aber den entscheidenden Absprung aus dem Wald
geschafft hatten.
Die Zukunft gehörte Weit.
III
Zögernd öffnete sie die Augen. Sie sah einen schmutzigen
Boden, der unter dem Gesicht anstieg. Als sie den Kopf hob, sah sie
Helligkeit, die durch die dichten Baumwipfel gefiltert wurde.
Sie drückte gegen den Boden und stemmte den Körper in
die Höhe. Laub und Schmutz klebten an ihren Brüsten und der
verletzten Schulter. An einem Baumstamm zog sie sich hoch und blieb
still stehen, bis das hämmernde Herz sich beruhigt hatte. Dann
wankte sie durch den Wald, dem Licht entgegen.
Sie stolperte ins Tageslicht hinaus. Sie hob die Hand und
beschirmte die Augen vor einer tiefen, sich rötenden
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