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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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menschliche Gestalt hin oder her, diese Leute waren nicht
übermäßig erfolgreich gewesen. Obwohl sie sich vom
Ursprung im Sumpf des Südwestens über Afrika ausgebreitet
hatten, waren sie keine Avantgarde gewesen. Es war schwer, Handel zu
treiben, wenn es keine Gleichartigen gab, mit denen man zu tauschen
vermochte. Das Überleben der neuen Nomaden stand nach wie vor
auf der Kippe, und die meisten Gruppen auf dem Kontinent starben
aus.
    Den Kindern von Harpune gelang es jedoch, sich über diese
kritische Phase hinwegzuretten, und ihre Gene trugen fortan eine
›Flaschenhals‹-Signatur. Die vielen Milliarden Menschen,
die künftig aus dieser nicht viel versprechenden Saat
hervorgingen, waren genetisch praktisch identisch. Alle Menschen
waren Verwandte.
     
    Kieselstein Beziehung zu Harpune erreichte auf einer Jagd den
Höhepunkt.
    Eines Tages versteckte Kieselstein sich mit dem Wind im
Rücken in einem Unterstand und spähte eine Herde friedlich
grasender Riesenpferde aus. Der Unterstand bestand aus ein paar
Schösslingen, die locker verwoben und mit Palmwedeln und Gras
bedeckt waren. Hier lag Kieselstein also mit dem Stoßspeer
neben sich und taxierte das große, lahme Tier, das ihr Ziel
war.
    Und Harpune lag neben ihm. Er war angespannt, wurde von Adrenalin
durchflutet, und die Hitze des Tages und der Schweißgeruch des
Pferds benebelten ihm die Sinne.
    Plötzlich spürte er ihre Finger im Gesicht.
    Er drehte sich um. Ihre Haut schien in dem grünen
Dämmerlicht zu glühen. Sie strich über die senkrechten
ockerfarbenen Streifen, die er noch immer trug. Und dann wanderten
ihre schlanken Finger zu seinem Arm und den lang verheilten
Schnittwunden, die er sich selbst zugefügt hatte. Bei jeder
Berührung von ihr erschauerte er, als ob ihre Finger aus Eis
oder Feuer wären.
    Dann fuhr er ihr mit den Fingern über den Arm. Seine Faust
schloss sich leicht um ihren Unterarm, wie um das Bein eines Vogels.
Er spürte, dass er den Knochen wie ein Streichholz zu brechen
vermocht hätte. Plötzlich fühlte er sich wieder in den
Tag zurückversetzt, als er ihr am Strand begegnet war. Er bekam
einen trockenen Mund und konnte nur mit Mühe schlucken.
    Er verstand seine Lust nicht: die Lust, die nie geschwunden war.
Er dachte an die tollen Werkzeuge, die sie gefertigt hatte, ihre
langen, geschmeidigen Schritte, die Nahrung, die sie seinen Leuten
gebracht hatte – und diese Harpune mit der feinen Spitze, die
unvorstellbar für ihn gewesen war, bis er sie an jenem Tag zum
ersten Mal gesehen hatte. Da war etwas an ihr, das sein Körper
begehrte; die Sehnsucht war schier unerträglich.
    Er rollte sich auf den Rücken. Im grünen
Dämmerlicht des Pflanzen-Unterstands setzte sie sich auf ihn und
lächelte.

 
IV
     
     
    Jeder Brocken Feuerstein war ein Miniatur-Friedhof. In einem
längst verschwundenen Meer hatten die Kadaver von Krustentieren
ein Sediment gebildet, und winzige glasige Nadeln, die einst das
Skelett von Schwämmen gewesen waren, wurden zu Feuerstein, der
in den sich verdickenden Kalk-Flözen eingeschlossen war.
    Kieselstein hatte das Gefühl von Feuerstein immer schon
geliebt. Er drehte den glattflächigen, spröden Stein in den
Händen und ertastete seine Struktur. Feuerstein-Steinmetze
mussten jede noch so subtile Eigenschaft des Steins kennen. Je
länger ein Feuerstein den Elementen ausgesetzt war, desto
wahrscheinlicher war es, dass er Risse hatte, die durch Frost oder
die Wirkung von Fluss- und Meeresströmungen entstanden waren.
Dieser Feuerstein wies jedoch keine derartigen Spuren auf. Er war
makellos. Er war erst vor kurzem aus seiner Kalkmatrix befreit
worden, nachdem eine Klippe eingestürzt war. In diesem Gebiet,
im alten Revier der Leute, fand man keinen solchen Feuerstein.
Kieselstein hatte guten Feuerstein in den langen Jahren am Strand
vermisst, ehe Harpune in sein Leben getreten war.
    Dieser Tage war er nie zufriedener, als wenn er Stein bearbeitete
– das heißt, er war nie weniger unzufrieden.
    Sieben Jahre waren seit der ersten Begegnung mit Harpune
verstrichen. Mit sechsundzwanzig baute sein Körper bereits ab.
Er war durch die vielen Entbehrungen und Härten eines Lebens
gezeichnet, das noch immer sehr hart war, obwohl seine Leute nun mit
den Neuankömmlingen zusammenarbeiteten.
    Er hatte sich auf Harpune eingelassen, und er hatte sich auch auf
das Neue und die Veränderungen eingelassen, die sie bedeutete,
aber diese Veränderungen waren trotzdem schwer zu
bewältigen. Kieselsteins Bewusstsein

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